Unwetter, Stillstand und der VNF – Teil 2

Mit dem Fahrrad auf dem Weg zum ErdrutschZwei Nächte bleibe ich mit Eos an der Schleuse liegen, bevor der Pegel endlich wieder fällt und der VNF die Schifffahrt auf dem Doubs freigibt. Aber es dauert an diesem 27. Juni bis zum Nachmittag, bevor sich der Verwaltungsapparat in Bewegung gesetzt und den „grünen Knopf“ gedrückt hat.
Während dieser Wartephase begegne ich ihr zum ersten Mal. Sie, die Schleusenmeisterin, gegen die ich vermutlich im Armdrücken verlieren würde, macht mir unmissverständlich, aber eigentlich grundlos klar, wer hier an dieser Schleuse der Boss ist. Revier markiert, ich dackel ab und warte. Und warte… und warte…
Sie macht Mittagspause…

In der Zwischenzeit treffe ich den Schleusenmeister, der (Achtung) das Schleusenhaus an dieser Schleuse bewohnt, aber für eine andere Schleuse zuständig ist und frage ihn, weil er im Gegensatz zu seiner Kollegin Englisch spricht, ob er denn wüsste, wann es weiter geht. Kurze Antwort: „Nein“
Meine nächste Frage: „Wissen sie etwas von einer zweiwöchigen Sperrung des Kanals in L’Isle-sur-le-Doubs?“
Seine Antwort war eine Gegenfrage: „Wer behauptet denn so etwas!?“
Ich: „Das hat mir ihre Kollegin erzählt.“
Er: „Also, wenn hier um die Ecke der Kanal für zwei Wochen gesperrt wäre, dann wüsste ich das! Da müsste schon ein Schleusentor brechen oder etwas schlimmeres passieren, damit hier zwei Wochen nichts mehr geht. Glauben sie so einen Unfug nicht!“

Ich bin beruhigt und warte weiter. Irgendwann kommt Sie wieder, schaltet die Anlage ein, sagt mir kurz bescheid und ist weg. Ich sprinte mit Eos los. Den Bukh hatte ich da bereits auf Betriebstemperatur vorgehalten. Man weiß ja nie.
Also hoch mit Eos, raus aus der Schleuse und mit Vollgas den immer noch stark strömenden Doubs stromaufwärts schleichen. Dann die nächste Schleuse. Läuft problemlos. Anschließend nur noch eine weitere Schleuse und ich wäre im Kanal. Aber sie funktioniert nicht!
Also festmachen am Warteponton, hoch laufen… Kennt ihr ja mittlerweile.
Nach einer Weile taucht hinter mir ein anderes Schiff auf. Zu groß, um an Eos längsseits festzumachen. Also laufe ich wieder nach oben, um dem VNF zu sagen, dass mittlerweile zwei Schiffe im Fluß warten. Man erzählt mir wieder etwas von „Twenty Minutes“. Wie immer. Beim VNF dauert alles „Twenty Minutes“!
Als ich wieder zurück beim Boot bin, fährt die Motoryacht an mir vorbei und macht in der Schleuse fest. Macht Sinn. Am Heck lese ich den Heimathafen: Düsseldorf.
Ja Hallo, jemand aus der Heimat. Also laufe ich wieder nach oben zur Schleuse und komme mit Silke & Michael ins Gespräch. Wir tauschen uns kurz über die Schleusenkammer aus und die beiden probieren ein paar Tricks. Irgendwann funktioniert die Anlage wieder. Ich fahre allerdings nicht mit Eos hinein, sondern lass die beiden alleine nach oben. In der Zwischenzeit ist Sie auch da. Die Schleusenmeisterin, die ich bereits kenne. Viel Palaver. Ich lass sie stehen und geh zurück zum Boot.
Irgendwann ist dann auch Eos oben und nach einem kurzen Stück im Kanal bin ich neben der „White Heaven“ von Silke & Michael fest.

Eos in Baume-les-DamesEs folgt ein Nachmittag mit vielen Gesprächen vor Ort. So langsam werden aus Gerüchten Tatsachen, später dominieren wieder die Gerüchte. Ich telefoniere, höre mich um und verlege Eos am Abend schließlich in eine ruhigere Ecke, an das hintere Ende dieses Stadtanlegers in Baume-les-Dames.
Es gab tatsächlich einen Erdrutsch im Kanal vor mir und es ist Fakt, dass es eine ganze Weile dauern wird, bis es weiter geht.

Ich bin ziemlich traurig an diesem Abend. Kann es kaum noch fassen, wie unmöglich dieser Weg wird, umso weiter ich fahre und frage mich, ob ich hier richtig bin. Ist es vielleicht das, was ich hier oben, so kurz vor der Scheitelhaltung finden sollte? Die Erkenntnis, dass Eos hier nicht hin gehört?
Ich werde das Gefühl nicht los, das umso näher ich dem Gipfelpunkt der Reise komme, umso mehr irgendetwas versucht, mich davon abzuhalten.
Hätte ich doch besser zurück segeln sollen?

Am nächsten Tag dann mehr Gerüchte als Tatsachen. Es kursieren Zeitangaben zur Sperrung zwischen 2 Wochen und 3 Monaten. Beim VNF weiß auch keiner richtig bescheid. Nur eins ist klar: Das Sperrtor zur nächsten Passage ist geschlossen, die Anlage abgeschaltet.

Also denke ich über einen Rückzug mit anschließendem Umweg über andere Kanäle nach. Bevor ich allerdings eine Entscheidung treffe, wollte ich wenigstens wissen, wo der Kanal genau gesperrt ist und ob an der Unglücksstelle gearbeitet wird. Da vom VNF auch am folgenden Tage kaum verlässliche Infos zu bekommen sind, bin ich am 30. Juni mit einem Rad vom örtlichen Fahrradverleih selbst dorthin gefahren. Was anderes als Fahrräder gibt’s hier nicht. Kein Bus, kein Mietwagen, Roller oder Motorrad. Zug wäre noch möglich gewesen, aber von dem hat mir die Mitarbeiterin im Tourismusbüro abgeraten, wegen Ausfällen und der zerstörten Bahntrasse. Also das Rad, war mir sowieso am liebsten…
85 Kilometer standen am Abend auf dem „Tacho“ und ich war platt! Habe ja hier keine Kondition mehr. Michael ist mit seinem Elektrorad auch mitgefahren und auf dem Rückweg musste er ab und zu auf mich warten. Mein Muskel-Akku war da bereits kurz vor Brennschluss, während er noch einen zweiten Lithium-Akku dabei hatte.

Erdrutsch in L'Isle-sur-le-Doubs
Die Unglücksstelle sah leider sehr bescheiden aus und ist schwer zugänglich. Wenn man das Foto sieht, könnte man meinen, es wäre nicht so schlimm, tatsächlich ist aber der Kanal auf 50m Länge so mit Geröll zugeschüttet und so flach, das man mit Gummistiefeln von der einen zur anderen Seite gehen könnte.
Aber ein Bagger auf einem Ponton und ein Lkw standen immerhin schon bereit. Die ersten Bäume waren auch bereits geborgen und zerlegt.
Im Hafen vor der Unglücksstelle war Platz. Hier waren nur zwei Dauerlieger festgemacht. Also habe ich mich für Weiterfahren entschieden und einen Tag später den VNF dazu gebracht, das Tor in Baume-les-Dames kurz für Eos zu öffnen und mich in den eigentlich gesperrten Bereich zu lassen.
Es war eine lange Diskussion und es hat auch nur geklappt, weil ich nicht alles erzählt habe. Geschwindelt habe ich auch nicht, denn ich wollte ja wirklich den schönen Ort Clerval besuchen, zumindest kurz. Ganz kurz. Und da ich wegen der Radtour entlang der Strecke wusste, dass alle Schleusen innerhalb des gesperrten Bereichs in Betrieb waren hatte ich die Hoffnung, dass es vielleicht klappen könnte.
Die ersten Schleusen funktionieren auch problemlos. Als ich schließlich in Clerval bin und mit meiner Fernbedienung die Anlage hinter dem Ort aktiviert habe, da hatte ich allerdings ein wenig bammel, dass man mich an der Schleuse danach stoppen könnte. Eine Ausrede hatte ich aber auch schon parat, denn der Stadtanleger in Clerval war ja offiziell gesperrt. Das wusste nur der VNF in Baume-les-Dames nicht…

Jedenfalls war Eos an diesem Abend 14 Schleusen weiter. Leinen fest in L’Isle-sur-le-Doubs. Tagesziel erreicht. Es gab vor Ort nur ein wenig Gefuchtel mit dem erhobenen VNF Zeigefinger, mehr nicht.
Yeah!!!

Eos in L'Isle-sur-le-Doubs
Kaum sind die Leinen fest, kommt jemand vorbei und sagt nicht Bonjour, sondern Hallo. Eckhard steht neben mir und fragt mich nach dem Woher und Wohin. Eckhard ist jemand, den man im ersten Moment für den liebenswürdigen Hausmeister von nebenan halten könnte. Einer, der nicht viel quatscht, sondern macht. Auch mit über Siebzig hat er fast jeden Tag den Arbeitsanzug an und ist in Aktion. Erst nach und nach erfährt man, wer Eckhard wirklich ist. Er erzählt mir von den Jura-Vipern in dieser Region, die in der Lage sind einen Menschen zu töten, wenn man nicht aufpasst. Das kommt zwar nur noch selten vor, aber diese Schlangen sind durchaus gefährlich. Davon lese ich dann auch nochmal zwei Tage später in einem Buch, das mir Michael in die Hand drückt. Auch in diesem Buch findet man etwas über Eckhard.
Später erfahre ich dann noch ganz nebenbei vom Master of Science in Mathematik und Physik, der Zeit als Pilot bei der Luftwaffe der Bundeswehr, der genauesten mechanischen Kirchturmuhr in Südfrankreich und noch viel mehr. Eine Lebensgeschichte, über die man ein Buch schreiben könnte. Allein die Sache mit der Transall und den beiden MiG-17… Leute, Leute…

Mit Eckhard am Sperrtor in Baume-les-Dames
Aber bleiben wir in der Gegenwart, Eckhard betreibt zusammen mit seiner Frau Annemarie das Hotel „Maison au canal“ hier in L’Isle-sur-le-Doubs. Es liegt direkt am Kanal, kurz vor der Schleuse. Also gegenüber von Eos. Ich habe das Glück, dass ich über Eckhards Router per Wifi ins Internet darf und liege nur knapp 2 Kilometer vor der Baustelle am Kanal. Jetzt bin ich optimal mit Infos versorgt.

Ich erzähle Eckhard natürlich auch von den Problemen mit dem VNF und der Idee, die White Heaven von Michael so schnell wie möglich hier her zu holen. Also bietet er mir am nächsten Tag an, mich zurück nach Baume-les-Dames zu fahren. Ich will Michael bei der Aktion helfen, da seine Frau Silke in den ohnehin geplanten Heimaturlaub ist und er das 15 Meter lange Schiff noch nicht Einhand geschleust hat.
Ich gebe Michael bescheid, schonmal alles vorzubereiten und bin gegen Mittag wieder im letzten Hafen. Das Gespräch mit dem VNF führt Eckhard für uns. Er spricht perfekt Französisch. Die Gegenseite klingt ein wenig überrumpelt und will so gleich einen Schleusenmeister vorbei schicken. „Twenty Minutes“!
Also legen wir den Bügel, damit die White Heaven durch die Brücken passt und machen die Leinen los. Michael fährt sein Schiff bis zum Sperrtor und wir warten. Twenty Minutes, dreißig Minuten, vierzig Minuten. Nichts passiert. Also setzt er mich am Tor ab und ich fange am Telefonkasten eine lange Diskussion mit dem VNF an. Ergebnis: Verwirrung, Gelaber, falsche Behauptungen!
Wir setzen zurück, machen wieder fest, kontaktieren Eckhard, der schon wieder mit dem Auto auf dem Rückweg ist. Er will nochmal beim VNF anfragen. Es vergeht Zeit. Irgendwann kommt von Eckhard die Info, dass der VNF nach der Mittagspause einen Schleusenmeister vorbei schickt, um das Tor zu öffnen.
Die Mittagspause ist lang. Sehr lang. Und dann sehen wir endlich das Auto vom VNF. Als ich erkenne wer aussteigt, sacke ich innerlich zusammen. Sie ist es!
Ich versuche es zunächst ganz sachlich, sogar auf Französisch (ja, so langsam wird’s). Aber gegen Sie habe ich keine Chance. Irgendwann wird sie laut, ich auch, jetzt driftet das Gespräch langsam ab in Richtung Spanisch. Wir trennen uns in etwa so:
Ich: „Das Schiff fährt nach L’Isle-sur-le-Doubs und zwar heute!!!“
Sie: „Das Schiff bleibt hier und zwar drei Wochen!!!“

Ich dackel wieder ab. Es ist klar, wer hier der Boss ist.

Michael und ich entwickeln noch eine Strategie für den nächsten Tag, trinken eine Cola, dann mache ich mich auf den Fußweg zum Bahnhof. Dort schaue ich auf den Plan und sehe, dass der Zug in zwei Minuten fährt! Ich buche panikartig durch gefühlte 23 Untermenüs in Französisch an einem Ticketautomaten eine Fahrkarte nach L’Isle-sur-le-Doubs und bin stolz wie Oskar. Ja, es wird wirklich, ist aber in diesem Einzelfall vermutlich dem Adrenalin zu verdanken.
Danach warte ich. Es kommt kein Zug. Dann finde ich den Ersatzplan und bin froh, dass bald ein Zug kommt. Dann finde ich den Ausnahmeplan für den 3. Juli für den Ersatzplan der Woche vom… Ach lassen wir das. Es gab jedenfalls wirklich einen Ersatzplan vom Ersatzplan und demnach fährt erst heute Abend wieder ein Zug, allerdings nur bis Clerval. Von dort aus soll dann ein Bus eine Sonderfahrt machen.
Clerval… Wollte ich ja sowieso besuchen…

Fahrkarte gebucht! Komme ich heute noch zurück zu Eos?

Naja, ich bin dann zunächst zurück zur White Heaven. Dort haben Michael und ich etwa eine Stunde lang zusammen über den VNF geflucht. Dann wieder zurück zum Bahnhof, Zug bekommen, Bus in Clerval bekommen.
Eckhard kam mir kurz vorm Hafen zufällig entgegen, hat mich fragend angeschaut und am Ende die Hände überm Kopf zusammen geschlagen.

Wie es Michael gelungen ist sich einen Tag später durch das Sperrtor zu mogeln, warum ich dann doch noch die White Heaven gefahren bin und was so manch ein Schleusenmeister treibt, wenn gerade Stillstand herrscht, erfahrt ihr wahrscheinlich im nächsten Beitrag.

Bis dahin könnt ihr ja mal bei Silke & Michael vorbei schauen: Ferienaufdemwasser.eu

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