Unwetter, Stillstand und der VNF – Teil 1

IMG_7139Am 23.06. lief es noch ganz gut. Ich bin an diesem Tag, trotz zwei defekter Schleusen, 31 Seemeilen weit gekommen. Hab die maximale Schleusenbetriebsdauer ausgenutzt und bin von 8 Uhr bis 20 Uhr gefahren. Kurz vor Besancon war dann Schluss und ich habe Eos am Warteponton, unmittelbar vor der Schleuse festgemacht.
An diesem Tag hatte ich auch eine interessante Begegnung mit jemandem, der mit dem Fahrrad unterwegs ist und schon einige Reisen hinter sich hat. Ich treffe Irineo aus Leipzig vor einer kaputten Schleuse und wir kommen ins Gespräch. Er fährt mit seinem Rad nach Lissabon und hat einiges zu erzählen. Leider ist die Zeit viel zu kurz.

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Die Schleuse wurde irgendwann repariert und hinter mir kommt langsam eine Peniche näher. Irineo füllt sich noch schnell die Trinkflaschen mit Wasser von Eos auf, wir tauschen E-Mail Adressen aus und es geht weiter. Bis zu diesem Warteponton vor Besancon. Die Stelle liegt zwar nah an der Stadt, aber spät abends ist hier niemand mehr, so dass ich ungestört im Cockpit mit einem Eimer Wasser duschen kann.

Am 24.06. aktiviere ich mit meiner Fernbedienung die Schleuse vor mir, löse die Leinen und fahre auf die Kammer zu. Die Tore öffnen sich, die Ampel springt auf Grün und kurz bevor ich da bin, auf Doppelrot. Schleuse gesperrt! Also aufstoppen, umdrehen, wieder festmachen, hoch laufen, defekte Schleuse melden, warten…
Irgendwann kommt der Schleusenmeister und bringt das Ding wieder in Gang. Als die Anlage wieder läuft, kommt von oben ein Boot. Das schleust er als erstes manuell nach unten, was auch völlig in Ordnung ist. Die Anfahrt auf die Schleuse aus dem Oberlauf ist nicht einfach, weil man direkt am Wehr vorbei fährt und aufpassen muss, nicht dort runter zu rutschen. Deshalb wird dieses Boot zuerst geschleust.
Als es durch ist, mache ich mich wieder bereit, will gerade die Leinen lösen, da stellt der Meister vom VNF die Anlage wieder auf Doppelrot. Ich wundere mich, denn er macht daraufhin nichts anderes, als mit einem Staubwedel die Geländer von Spinnweben zu befreien. Das geht eine ganze Weile so und ich werde langsam ungeduldig. Irgendwann ist er mit dem Schleusenputz fertig, trottet zu seinem Auto, packt den Staubwedel ein, dreht und fährt in aller Seelenruhe weg! Die Schleuse noch auf Doppelrot! Ich sprinte vom Anleger nach oben, denn er muss daran vorbei, und stehe jetzt auf der Straße. Als er mich sieht, geht er in die Eisen, dreht wieder, fährt zügig zurück, rennt zum Häuschen, schaltet die Schleuse auf Grün und dackelt ab.
Eine Stunde gewartet, zum Teil sinnlos. Ich bin entsprechend genervt, löse die Leinen und fahre endlich in die Schleuse.
Die drauf folgende Schleuse ist auch nicht Ordnung. An diesem Tag komme ich nicht weit und nehme den erstbesten Anleger im Doubs. Ich muss noch Wäsche waschen und ein paar Kleinigkeiten erledigen.

Die Nacht an diesem Anleger im Doubs wird ziemlich ungemütlich. Es war zwar viel Regen vorhergesagt, aber es bleibt nicht nur dabei. Mitten in der Nacht wird es stürmisch. So stürmisch, dass selbst auf diesem kleinen Fluss ein leichter Seegang entsteht. Ich hole nur noch die Flagge in die Kajüte und hoffe, dass mein improvisiertes Bimini den heftigen Wind überlebt. Das Unwetter tobt die ganze Nacht. Es blitzt und donnert und es kommen Wassermengen vom Himmel, wie ich es noch nie vorher erlebt habe. Ich schlafe irgendwann trotzdem ein und als ich am nächsten morgen aufwache, strahlt die Sonne wieder vom Himmel.
Es kommt aber bereits Kleinholz den Doubs runter und der Pegel ist innerhalb der letzten Stunden um etwa einen halben Meter gestiegen. Da ahne ich bereits böses.
Also zügig los und Meilen machen. Ich will heute bis zum Hafen in Baume-les-Dames.
Der Gegenstrom hat gegenüber dem Vortag bereits etwas zugelegt, ich komme aber trotzdem noch gut vorwärts. Allerdings nicht lange. Das Wasser steigt unheimlich schnell an. Viel schneller als ich es erwartet hätte. Nach etwa 2 Stunden fällt die Geschwindigkeit auf unter 2 Knoten über Grund. Da bin ich bereits dicht am Ufer auf der Innenseite und weiche immer öfter Baumstämmen aus. Das Wasser schießt regelrecht rechts und links aus den steilen Berghängen in den Fluss hinein.

Hochwasser Doubs
Ich erlebe jetzt hautnah, was ich sonst nur aus Fernsehberichten kenne und bin erschrocken, wie rasend schnell so ein gemütlicher Fluss im Mittelgebirge zum reißenden Strom werden kann.

Hochwasser Doubs 2
Die Ansteuerung der nächsten Schleuse wird jetzt richtig schwierig. Direkt unterhalb vom Wehr bilden sich Strudel und das Wasser ist extrem unruhig. Das Boot lässt sich nur noch schwer auf Kurs halten. Aber ich schaffe es ohne Kratzer in die Schleusenkammer.
Während ich Eos zügig nach oben schleuse, um keine Zeit zu verlieren, fluche ich vor mich hin! Ausgerechnet im längsten Flussstück des Rhein-Rhone-Kanals trifft mich das schlimmste Hochwasser. Es gibt meilenweit, bis Baume-les-Dames, kein Kanalstück mehr. Und ich ärgere mich über den VNF, der die Hoheit über die Schleusen hat. Ich ärgere mich, weil sie, obwohl sie die Pegel im Oberlauf live sehen und die Schifffahrt permanent überwachen, die letzte Schleuse vor dem langen Stück im Doubs überhaupt frei gegeben haben! Hier hat sich die Gefährlichkeit einer trägen Behörde live gezeigt.
Die nächste Schleuse ist leider wieder defekt. Ich gebe die Meldung ab und muss zunächst warten. Aber ich bin froh über die kaputte Schleuse, denn jetzt kann ich wenigstens einen Schleusenwärter fragen, ob die Passage bis zum nächsten Hafen überhaupt noch machbar ist, oder ob ich besser umdrehe.
Der Schleusenwärter meint, dass ich vielleicht bis Baume-les-Dames komme, ist sich aber nicht sicher. Zurück wäre auch keine gute Idee, denn die Zufahrten vor den Schleusen sind so kurz und zum Teil bereits überspült, das Gefahr besteht, übers Wehr gezogen zu werden. Also schnell weiter.

IMG_7137 Hochwasser Doubs
Das Wasser steigt währenddessen unaufhörlich und mittlerweile zieht das nächste Unwetter über uns her. Ich komme kaum noch vorwärts, muss ständig Baumstämmen ausweichen und habe zum ersten Mal Angst um Eos. Das kannte ich bisher noch nicht. Wenn es auf See mal ruppig wurde, da hatte ich bammel, dass Sabrina oder mir selbst was passiert. Aber Angst um Eos hatte ich da nie. Ich wusste, dass unser Boot den Seegang und alles andere wegstecken würde.
Aber jetzt hatte ich Angst um mein Boot. Immer öfter schaffe ich es nicht mehr dem Holz auszuweichen und es knallt entsprechend. Meistens nur am Rumpf, zweimal erwische ich etwas mit dem Propeller.
Ich selbst würde hier jederzeit ohne große Schwierigkeiten raus kommen. Die Offshore-Weste habe ich sowieso fast immer an und das Ufer ist nicht weit entfernt. Aber was mache ich mit Eos, wenn ich nicht mehr vorwärts komme? Egal was ich mir überlege, eine hundertprozentig sichere Lösung gäbe es nicht. Also nicht lange grübeln und weiter.
Es dauert lange, bis ich diese nächste Schleuse erreiche. Auch sie funktioniert nicht und ist auf Doppelrot. Ich mache Eos am Warteponton fest und laufe schnell nach oben zum Telefonkasten am Schleusengebäude. Nach wie vor ist die Schifffahrt noch nicht eingestellt und man will schnell jemanden vorbei schicken.
Als der Schleusenmeister dann schließlich da ist, bringt er die Anlage wieder in Gang, lässt mich in die Kammer fahren und schaltet ab.
Man hat den Rhein-Rhone-Kanal jetzt für die Schifffahrt gesperrt. Weiterfahren unmöglich. Auch der Warteponton vor der Schleuse im Unterlauf ist nicht mehr sicher, meint der wirklich kompetente Mann. Deshalb habe er mich in die Kammer geholt, die ein ungewöhnlich hohes vorderes Tor hat. Hier ist Eos sicher und hier soll ich jetzt so lange bleiben, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Er schätzt, dass es etwa drei Tage dauern wird. Dann zeigt er mir noch wo ich Trinkwasser zapfen kann und verabschiedet sich schließlich.

IMG_20160626_084315 Hochwasser Doubs
Wie ich erst Tage später erfahre, war das eines der schlimmsten Unwetter und Hochwasser, welches diese Region je erlebt hat. 18 Städte waren betroffen. Die Regenmengen waren extrem. In L’Isle-sur-le-Doubs hat es fast den gesamten Ort schwer getroffen. Keller liefen voll, Straßen wurden mit Schlamm überspült, ein Haus ist in den Fluß gerutscht und ein Helikopter hat nach Vermissten gesucht.
Die Bahntrasse zwischen Clerval und Belfort wurde so schwer beschädigt, dass der Schienenverkehr auch heute noch nur eingeschränkt funktioniert.

Im Rhein-Rhone-Kanal gab es durch das Unwetter in L’Isle-sur-le-Doubs zwischen Schleuse 25 und 24 einen Erdrutsch. Dort ist auf etwa 50 Meter Länge eine ca. 20 Meter hohe Felswand in den Kanal gestürzt. Bäume sind ebenfalls umgeknickt und blockieren kurz hinter der Schleuse die Durchfahrt.
Auch heute, fast zwei Wochen nach dem Unglück, ist noch nicht klar, wann die Strecke wieder befahrbar ist.

Was in den Tagen danach geschah, warum ich jetzt mit Eos im Hafen von L’Isle-sur-le-Doubs liege und wie es weiter geht, erfahrt ihr im nächsten Beitrag.

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