Titanium meets Dyneema

Ein Zeltnagel aus Stahl.

Auf die einfachsten Dinge kommt man oft nur sehr schwer. Warum das so ist? Keine Ahnung! Ich bin kein Psychologe und habe mich mit dieser Frage auch noch nicht beschäftigt. Was mich jedoch oft beschäftigt und ihr hier ja gelegentlich mitbekommt, ist die Frage, wie man ein bestimmtes technisches Problem am besten löst!
Oft sind solche Technikfragen recht komplex und erfordern taktisches Vorgehen. Meistens setze ich mich dann an mein CAD Programm und fange an zu zeichnen. Manchmal nehme ich mir auch einfach ein Blatt Papier und kritzel darauf herum. Es wird gezeichnet, nachgedacht, gebaut, verworfen und umkonstruiert, bis man irgendwann zum gewünschten Ergebnis kommt.
Umso komplexer das Problem, umso eher komme ich dabei in einen gewissen Flow. Umso simpler das technische Problem, umso schwieriger finde ich es dagegen oftmals, dafür eine verbesserte Lösung zu finden. Bestes Beispiel: Das Rad
So einfach und genial, dass es fast unmöglich ist, etwas zu erfinden was in der Herstellung, Funktion und Haltbarkeit einfacher und besser ist als ein Rad. Wenn man dann noch bedenkt, dass Menschen erst seit ungefähr 6.000 Jahren das simple Rad verwenden, aber bereits vor mehr als 20.000 Jahren (manche Wissenschaftler reden sogar von 60.000 Jahren) den Jagdbogen erfunden haben und seit etwa 7.000 Jahren hochkomplexe Kompositbögen bauen, die in der Herstellung auch heute noch ziemlich viel Know-How und Geschick erfordern, dann verwundert es schon, dass auf so eine einfache Scheibe mit Loch in der Mitte niemand vorher gekommen ist.

Jetzt will ich mein Projekt nicht mit so etwas fundamentalem wie dem Rad vergleichen, denn ich hatte ein vergleichsweise unbedeutendes Problem mit meinen Zeltheringen, bzw. Erdnägeln.
Unmittelbar nach dem Sabrina und ich auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela gepilgert sind, wollte ich unsere einfachen Zeltnägel aus Stahl gegen etwas besseres und vor allem leichteres austauschen. Denn diese Stahlnägel mit dem abgeknickten Ende sind einfach nur schrecklich. Zu schwer, zu leicht plastisch verformbar und in der verzinkten Ausführung ruck zuck rostig.
Also begann ich, den Markt zu durchforsten und mir ein Bild davon zu machen, was es so an Heringen und Erdnägeln gibt. Das Angebot dazu ist gigantisch und jeder Hersteller hat natürlich den ultimativ besten aller Heringe auf der Welt im Programm. Um es nicht zu kompliziert zu machen, wollte ich „nur“ einen Ersatz für die normalen Erdnägel, wie man sie für mittelfeste bis harte, erdige Böden braucht. Das Thema Sandheringe ist nochmal ein anderes, auf das ich vielleicht später mal zurückkommen werde.
Jedenfalls gibt es nichts was es nicht gibt. Nägel aus Aluminium, aus Edelstahl, aus Carbon, diverse in Kompositbauweise, geschmiedet, laminiert und mit allerlei hübschen Logos verziert.
Aus Titan findet man wenige, jedoch habe ich mich nach ein paar Vorversuchen mit Carbon und Edelstahl für dieses Material entschieden und einen ganzen Bund Titanstäbe mit 3mm Durchmesser gekauft. Das war vor ziemlich genau 4 Jahren!
Seitdem lagen diese Rohlinge hier in einer der Materialkisten, wurden immer mal wieder in die Hand genommen, betrachtet und …

Nix!

Keine Idee!

Ich hatte absolut keine Ahnung, wie man daraus einen perfekten, einen ultraleichten und praktischen Erdnagel machen kann. Aber genau das war das Ziel. Leichter, einfacher und haltbarer als alles was man kaufen kann, sollte mein Erdnagel sein!
Immer mal wieder habe ich diverse Versuche angestellt, aber nichts war optimal. Eine Querbohrung am Kopf? Schwächt das Material! Eine Querbohrung in einem Ende mit vergrößertem Querschnitt? Machbar, aber unnötige Gewichtserhöhung! (Gibt es zum Beispiel bereits vom Hersteller „Hilleberg“) Eine Carbonhülse? Nicht haltbar! Ein Gewinde für Austauschköpfe? Zu kompliziert und anfällig in der Praxis. Einfach abknicken? Zu schwer und nervig in der Handhabung…

So verging Jahr um Jahr und ich hatte keine zufriedenstellende Lösung. Bis vor ein paar Tagen. Da saß ich Abends in der Werkstatt, war gerade mit allen Arbeiten fertig und dachte mir: Nimm doch mal wieder die Titanstäbe in die Hand. Und zack! Da war sie, die Idee. So simpel, dass ich zunächst dachte: Das kann doch nicht die Lösung sein!?
Wenn es wirklich so simpel ist, warum ist dann noch niemand vor mir auf die Idee gekommen, einen Zeltnagel aus Titan exakt so zu bauen? Oder gibt es solche Erdnägel etwa schon und ich habe sie nur noch nicht entdeckt?
Alle Zweifel kurz beiseite geschoben, das WIG Schweißgerät aufgebaut und mit 30 Ampere und ordentlich Argon in 2 Sekunden eine Kugel aus flüssigem Titan an einem Ende des Stabs geformt.

Anschließend die andere Seite auf der Drehmaschine angespitzt und eine Schlinge aus Dyneema mittels eines Stopperstek unter die Kugel geknotet. Fertig!

Den praktischen Einsatz beim Campen gilt es noch zu bestehen, aber im Test haben sie sich bereits als äußerst wirksam gezeigt. Titan ist nicht nur deutlich leichter als Stahl, sondern auch wesentlich elastischer. Wenn also Hindernisse, wie Steine im Boden sind, dann schlängelt sich der Titanhering daran vorbei und kommt beim ziehen wieder gerade aus der Erde, während sich Stahl eher plastisch verformt und ständig gerichtet werden muss.
Die Kugel am oberen Ende verhindert wirksam ein abrutschen der Zeltleine. Mit einer einfachen, zuziehenden Schlaufe rutscht die Leine selbst dann nicht ab, wenn der Hering leicht in Zugrichtung geneigt ist.
Die Schlaufe aus Dyneema dient zum herausziehen des Erdnagels und markiert diesen als netten Nebeneffekt.
Die Kugel hat nicht nur die Aufgabe, die Zeltleine zu halten, sondern lässt sich auch prima hämmern, um durch harte Böden oder Gestein zu kommen. Das funktioniert bei vielen Erdnägeln weniger gut, weil bei manchen konstruktionsbedingt die Kraft zu stark außermittig eingeleitet wird, sollte man nicht perfekt die Mitte treffen. Noch dazu ist bei einigen Erdnägeln der Kopf nicht für solche Belastungen ausgelegt. Eine verschweißte Kugel leitet die Kraft dagegen optimal weiter und ist fast unzerstörbar.

So einfach kann es manchmal sein.

Und nun der Gewichtsvergleich mit anderen Erdnägeln.

Stahlnagel „Standard“ 180mm Länge: 18,5 Gramm

Titannagel „Hilleberg – Stinger“ 160mm Länge: 14,0 Gramm

Alunagel „Nordisk – Aluminium Nail“ 160mm Länge: 10,0 Gramm

Titannagel „Nordisk – Titan Nail“ 155mm Länge: 8,0 Gramm

„Weinmannscher Titannagel ohne lässigen Namen“ 205mm Länge: 6,52 Gramm

Ich habe nun 17 solcher Erdnägel für unsere nächste Tour angefertigt. 16 benötigen wir, einer ist als Backup dabei. Für uns bedeutet das Upgrade auf diesen Erdnagel einen Gewichtsvorteil von 203 Gramm gegenüber den 17 Erdnägeln aus Stahl. Hört sich vielleicht für manche nach wenig an, aber genau so funktioniert Gewichtsoptimierung beim Trekking oder Camping. Es gibt nicht das eine Bauteil, mit welchem man auf einen Schlag viel Gewicht sparen kann, sondern Dutzende Kleinigkeiten, die in der Summe bei einer optimierten Ausrüstung dann mehrere Kilogramm auf dem Rücken oder in den Packtaschen sparen.

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