Tagesetappe: 90 Kilometer / Gesamtstrecke: 121 Kilometer
Wie wir es am dritten Tag 90 Kilometer weit geschafft haben, ist eine lange Geschichte.
Angefangen hat alles mit der Idee am Vorabend, es doch mal per Anhalter zu versuchen. Wir sind beide noch nie getrampt, zumindest nicht per Pkw. Ich bin mal vor vielen Jahren ein ganzes Stück mit anderen Motorradfahrern getrampt, als meine eigene Maschine unterwegs den Geist aufgegeben hatte und habe auch selbst schon mal den ein oder anderen Tramper im Auto ein Stück mitgenommen. Wir wussten also prinzipiell immerhin wie es geht.
An diesem morgen ging es deshalb nach dem Frühstück mit gepackten Sachen erstmal zum Laden um die Ecke. Sabrina kauft Stifte und große Briefumschläge. Darauf schreibt sie unser erstes Wunschziel des Tages. Anschließend laufen wir bis zum Ortsausgang und suchen eine Stelle, an der wir gut gesehen werden und an der die Autos hinter uns eine Möglichkeit zum anhalten haben.
Es geht los. Schild gut sichtbar zeigen, Daumen nach oben und freundlich gucken. Die Rucksäcke werden auch gut ausgerichtet, so dass wir als Backpacker erkennbar sind.
Die ersten Autos fahren an uns vorbei, vielleicht gucken wir am Anfang auch noch zu verkrampft. Sabrina zählt jedes einzelne und wir schauen auf die Uhr. Wird uns überhaupt jemand mitnehmen? Und wenn ja, wie lange wartet man wohl so?
Wir raten bei jedem, ob der oder diejenige anhält oder nicht. Das 74. Auto kommt vorbei, wir tippen beide auf Vorbeifahrt, aber die junge Frau hält ihren VW Golf an. 45 Minuten hat es gedauert, bis wir unsere zwei Rucksäcke in den Kofferraum packen und einsteigen. Sie ist Physiotherapeutin und fährt zur Arbeit nach Vendays-Montalivet. Wir unterhalten uns über das woher und wohin und schwups sind wir auch schon im nächsten Ort. Wir wollen ihr als Dankeschön etwas für die Fahrt geben, aber keine Chance. Ich kann sie immerhin dazu überreden, eine Portion Apfelkompott für unterwegs als Geschenk anzunehmen. Wir sind ziemlich froh, dass diese erste Fahrt per Anhalter so gut geklappt hat.
In Vendays-Montalivet kümmern wir uns zunächst um das urmenschlichste Bedürfnis, neben Essen und Trinken: Pipi machen. Hunde habens da definitiv leichter als Backpacker. Öffentliche Toiletten gibts nicht, die Post hat angeblich keine und in der ersten Gaststätte sind die Toiletten nicht benutzbar, sagt man. Nach einer halben Stunde findet sich dann doch noch eine nette Dame in einem Restaurant und Sabrina ist erleichtert. Wir bedanken uns mit einer Münze und ziehen weiter Richtung Ortsausgang.
Auf das zweite Schild schreiben wir das nächste Ziel: Hourtin.
Wir zählen wieder und warten ab. Manchmal winken wir, manchmal machen Autofahrer Späße und die Zeit vergeht schnell. Das 66. Auto hält nach 50 Minuten an. Ein junger Mann mit einem Twingo nimmt uns mit. Er hat jemanden in Soulac besucht und ist jetzt auf dem Rückweg nach Hourtin, wo er zu Hause ist. Als er uns fragt, wohin wir heute noch wollen, kostet es uns nicht wenig Überredungsarbeit, ihn davon abzuhalten, bis nach Carcans durchzufahren, uns dort abzusetzen und erst danach zurück nach Hourtin zu fahren. Das Angebot war verlockend, aber wir wollen an diesem Tag nur in Autos mitfahren, die sowieso in unsere Richtung rollen. Also setzt er uns in Hourtin ab und wir bekommen auch bei ihm nicht die Chance, ihm etwas zu geben. Das Apfelkompott mag er dann doch und wir freuen uns.
In Hourtin finden wir dann schneller eine Toilette. Das Tourismusbüro ist zwar bereits bis nächsten Sommer geschlossen, aber in einer Kneipe können wir den Wirt überreden, uns mal kurz zur Toilette zu lassen. Erst will er nicht, nur wenn wir Essen oder etwas Trinken, aber gegen Bares dürfen wir dann doch mal kurz zum Klo.
Danach laufen wir wieder bis zum Ortsrand und beschriften das nächste Schild. Carcans steht darauf, und bevor wir großartig raten können, steht 3 Minuten später das vierte Auto neben uns. Ein Lieferwagen mit drei Sitzplätzen vorne ist es und der freundliche Mann hat es eilig. Wir sitzen noch nicht richtig, da geht es auch schon los. Leider ist unser Französisch ziemlich dürftig, Englisch kann er nicht, dafür Spanisch, aber da hat Sabrina auch erst ein paar Brocken parat. Also eben mit „Händen und Füßen“. Neben lenken, telefonieren, am Smartphone tippen, Radio einstellen und den Tanklaster überholen, gestikuliert er mit mir über unser nächstes Ziel. Schnell ist klar, er nimmt uns nicht nur mit bis Carcans, sondern fährt durch bis Lacanau, dort muss er tanken. Das passt perfekt für uns.
Dort angekommen, lässt er uns keine Chance. Nicht mal ein Apfelkompott bringen wir an den Mann. Es reicht ihm, dass wir froh sind. Mehr will er nicht.
In Lacanau müssen wir noch nicht zum stillen Örtchen, zu schnell ging die Fahrt hierhin, also laufen wir gemütlich durch den Ort und erreichen nach etwa einem Kilometer eine gute Stelle, kurz vor den letzten Häusern. Die nächste kleine Stadt ist Le Porge, dort wollen wir zunächst hin und Sabrina beschriftet das Schild. Hier fahren nur noch wenige Autos vorbei, trotzdem hält bereits 15 Minuten später das 14. Auto an. Wir haben wieder beide auf eine Vorbeifahrt getippt, aber Isabelle hält ihren Kombi an. Wir packen die Rucksäcke in den Kofferraum, ich setze mich auf den Beifahrersitz und Sabrina setzt sich nach hinten zu Lisa, die im Kindersitz angeschnallt ist und erstmal etwas schüchtern schaut.
Wir fahren los und unterhalten uns auf Englisch. Isabelle übersetzt ab und zu etwas für Lisa. Die beiden wollen nicht nur bis Le Porge, sondern zum Rathaus nach Ares, um dort einen neuen Pass zu beantragen. Ein Glücksfall für uns, denn Ares war unser gestecktes Tagesziel. Es geht vorbei an Le Porge und durch Lege. Wir unterhalten uns gut und kommen irgendwann an die Stelle, wie wir zum trampen gekommen sind. Isabelle ist erstaunt, dass wir uns wundern, dass sie uns mitgenommen hat. Eine Selbstverständlichkeit ist das für sie, da gibt es nicht viel zu überlegen.
Ob wohl in einem kleinen Städtchen in Deutschland am Ortsrand an einer verlassenen Landstrasse auch eine junge attraktive Frau mit ihrem Kleinkind und einem teuren Auto, zwei verschwitzte Tramper, die eine andere Sprache sprechen, mitgenommen hätte?
Isabelle freut sich jedenfalls, dass sie uns helfen konnte und wir sind mal wieder etwas überwältigt von der Gastfreundschaft in Frankreich. Auf dem Apfelkompott bleiben wir allerdings schon wieder sitzen und auch sonst möchte Isabelle nichts annehmen. Zu selbstverständlich ist diese Fahrt für sie. Wir sind sehr dankbar dafür und verabschieden uns von den beiden.
Weiter geht es in Richtung Jakobsweg, ab jetzt wieder zu Fuß. Unterwegs kommen wir an einem der Hotels vorbei, die wir uns in der Karte markiert hatten. Es macht einen guten Eindruck und hat geöffnet. Wir überlegen eine Weile, aber kommen dann zu dem Entschluss, dass wir noch ein paar Kilometer zu Fuß weiter gehen sollten. Es ist noch früh genug, um rechtzeitig das nächste Hotel im Nachbarort zu erreichen. Also Zähne zusammen beissen und weiter laufen. Obwohl wir heute noch nicht so viel Strecke zu Fuß hinter uns haben, geht es etwas zäh. Diverse Gelenke machen nach wie vor Probleme, aber immerhin funktionieren meine Füsse ganz gut. Ich hatte am morgen vorgesorgt und den linken Fuß entsprechend mit Verbandsmaterial präpariert, um eine größere Blase zu schützen und den Bereich zu stabilisieren.
Also laufen wir und kommen an einen wunderschönen Teil des Voie Littorale. Das Bassin d’Arcachon liegt direkt vor uns und der Anblick ist großartig. Der Weg führt vorbei an Schutzgebieten, in denen verschiedene Reiherarten und viele andere Vögel zu hunderten beobachtet werden können.
Das Bassin d’Arcachon ist eine etwa 155 Quadratkilometer große Bucht, die nur durch schmale Passagen mit dem Atlantik verbunden ist. Das Becken ist sehr flach und bietet vielen seltenen Tierarten eine Rückzugsmöglichkeit. Daneben gibt es eine ausgeprägte Austernzucht und viele Segelboote. Als wir so da stehen und raus auf die ruhige, geschützte Wasserfläche schauen, denken wir beide dasselbe. Hier wäre vielleicht der richtige Platz für Eos. Flaches Gewässer, Wattflächen zum trockenfallen, genau das richtige für einen kleinen Kimmkieler. Aber wir sind nicht die einzigen, die so denken. Die Wartezeit für einen Liegeplatz beträgt durchschnittlich 26 Jahre.
Wir laufen weiter…
Der nächste Ort ist Andernos-les-Bains. Hier geht es vorbei an kleinen Häfen, über den Strand und die Promenade. Das erste Hotel auf unserer Karte ist geschlossen, also weiter zum nächsten. Doch wir finden es nicht und wollen einen älteren Herrn im Vorgarten fragen, der sich gerade mit jemadem unterhält. Nach dem Bonjour fragt er direkt mit französischem Akzent: „Sprechen sie deutsch?“
Wir sind überrascht, dachten wir doch, dass es uns mittlerweile gelingt, ein nahezu akzentfreies Bonjour über die Lippen zu bringen. Aber der Kerl kennt sich aus. Er kennt sich sogar sehr gut aus. Über 25 Jahre ist er durch Europa gereist, um zu arbeiten. Von ihm und seinem Nachbarn bekommen wir ein anderes Hotel in der Nähe empfohlen. Er kenne den Besitzer. Dieser soll Engländer sein und das Hotel sehr gut.
Wir verabschieden uns und gehen weiter. Nach etwa einem Kilometer sind wir da. Es hat geöffnet und macht einen sehr guten ersten Eindruck. Vor dem Hotel stehen bereits einige Autos. Drinnen angekommen hängen nicht mehr viele Schlüssel am Brett hinter der Rezeption, aber wir bekommen ein Doppelzimmer mit Balkon. Das Hotel hat zwei Sterne, wir würden eher 4 vergeben.
Geräumige Zimmer, Bad mit Badewanne, großer Flatscreen, kleiner Wäschetrockner und Wasserkocher mit kleiner Kaffebar auf dem Zimmer „for free“. Ein kleines Schwimmbad und einen Außenpool gibt es auch noch und das ganze 5 Meter hinter dem Strand am Bassin d’Arcachon.
Nach einem Kaffee und der Dusche gehen wir ins Restaurant und essen jeder eine Dorade. Dafür würden wir sogar 5 Sterne vergeben.
Zurück im Hotelzimmer naschen wir noch ein Apfelkompott und schauen kurz nach, wie weit wir heute gekommen sind: 79 Kilometer getrampt und 11 Kilometer gelaufen.