Johnny

Ist mal wieder alles durcheinander hier, irreparabel diesmal. Es ist etwas passiert, was unser Leben mit Wucht aus der Bahn laufen lässt.
Ich weiß, dass einige von euch darauf warten, dass ich hier über ihn berichte und ich denke mal, dass sich der ein oder andere wundern wird, warum man wegen eines Hundes so viel Wirbel macht.
Es fällt mir schwer diesen Beitrag zu verfassen und ich weiß nicht ob es mir gelingen wird, alles verständlich rüber zu bringen, aber ich will versuchen euch ein wenig von Johnny und uns zu erzählen, denn er war für Sabrina und mich mehr als ein Hund oft ist. Er war kein Begleiter nebenher. Er war unser Mittelpunkt, unser Antrieb und unser Leitstern. Wir haben ihn nie wie ein Kind behandelt, aber er hatte dieselbe Wichtigkeit für uns.

Ich springe mal etwas in der Zeit und fange am Mittwoch Abend an. An diesem Abend ging es ihm sehr schlecht. Er hatte sich tagsüber bereits mehrmals übergeben und hatte zeitweise Bauchschmerzen. Als sich sein Zustand weiter verschlechtert hat, sind wir mit ihm am späten Abend so schnell es ging in die nächste Tierklinik gefahren. Zu dem Zeitpunkt dachten wir noch an eine Magen-Darm-Infektion, wollten aber nichts dem Zufall überlassen, da er durch seine Autoimmunerkrankung schnell Probleme mit Infektionen bekommen könnte.
In der Klinik waren wir gegen 23:30 Uhr und Johnny wurde sehr schnell behandelt. Man hatte bereits seine Daten und alles weitere konnten wir auch schnell abklären. Wir waren auf die Situation gut vorbereitet, denn genau in dieser Klinik hat man Johnny vor vielen Jahren, als er noch klein war, bereits einmal sein Leben gerettet. Damals sind wir nach einem Ärztemarathon mit Fehldiagnosen in eben dieser Klinik gelandet und man hat eine sterile Meningitis (SRMA) diagnostiziert und in einem langwierigen Prozess „geheilt“. Er ist damals nur sehr knapp über den Berg gekommen und hat als Folge der späten Behandlung die Autoimmunerkrankung zurück behalten.
In dieser Nacht auf Donnerstag ging dann alles zügig weiter. Johnny wurde geröntgt, um Fremdkörper auszuschließen und einen groben Überblick der Organe zu bekommen. Es wurde ein Blutbild gemacht, er hat Infusionen und Schmerzmittel bekommen. Der Anfangsverdacht lag erst mal bei einer Magen-Darm-Infektion, so wie wir es auch vermutet hatten. Die behandelnde Ärztin hat sich toll um ihn gekümmert und wir sind ihrem Rat gefolgt, Johnny sicherheitshalber stationär dort zu lassen und in der Nacht weiter zu untersuchen und zu beobachten.
Also sind wir ohne Johnny zurück nach Hause gefahren. Am nächsten morgen dann die erste schlechte Nachricht. Nach einigen Untersuchungen hat sich die Magen-Darm-Infektion nicht bestätigt. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist er an einer Infektion der Bauchspeicheldrüse erkrankt. Sein allgemeiner Zustand war sehr schlecht und die Nierenwerte bereits in einem ungünstigen Bereich. Die Ärztin und auch wir hatten trotzdem große Hoffnung, denn bei schneller Diagnose und intensiver Behandlung gibt es eine gute Chance, eine akute Infektion der Bauchspeicheldrüse zu überleben. Es wurde deshalb weiter alles getan, was medizinisch möglich ist. Am Nachmittag haben sich die entscheidenden Werte und Johnnys Zustand dann trotz Behandlung nochmals verschlechtert, aber es gab weiterhin Hoffnung.
Am frühen Abend ist Johnny, auch für die Ärzte überraschend früh, an multiplem Organversagen gestorben, nach nur etwas mehr als 7 Jahren.

Für uns ist in dem Moment die Welt zusammen gebrochen. So wie sie bisher noch nie zusammen gebrochen ist. Wir haben schon viele Hunde und noch mehr Menschen im Laufe der Zeit verloren. So weh wie bei Johnny hat es uns noch nie getan und wir wundern uns selbst darüber.
Kein Hund vorher hat so eine große Lücke hinterlassen und wir begreifen kaum warum das so ist. Können oder wollen nicht verstehen.
Vielleicht lag es ein bisschen auch an seiner Rasse. Lagotto Romagnolos sind sehr einfühlsam und sensibel. Sie haben feine Antennen, sind trotzdem sehr robust und ausdauernd. Es ist eine alte, eher unbekannte Rasse. Manch hat einer hat vielleicht schon mal vom Trüffelhund oder vom Wasserhund gehört? Das sind sie, die Lagotti.

Als wir vor etlichen Jahren anfingen, uns für einen Lagotto zu interessieren, gab es nicht viele Züchter in Deutschland. Man musste sich im Prinzip bewerben und es gab Wartelisten. Das schöne daran war, dass wir deshalb alles von Anfang an mitbekommen haben. Wir haben uns sehr gut mit Johnnys Züchterin verstanden und uns auch gleich in Lolle, seine Mutter, verliebt. Zu dem Zeitpunkt war sie noch nicht tragend, aber beim ersten Versuch einige Wochen später hat es bereits geklappt. Lolle war schwanger und es war klar, dass wir, wenn alles gut geht, einen ihrer Welpen bekommen werden. Der Vater hieß Kan Trace Alfa Romeo und war ein wunderbarer Lagotto.
Die Zeit der Schwangerschaft war Klasse. Es gab Besuche und wir konnten miterleben wie Lolles Bauch immer dicker wurde.
Am 20. Juli 2008 um 8:15 Uhr war es dann soweit. Lolle hatte es ziemlich schwer, denn es war ihre erste Geburt, und ausgerechnet der Welpe mit dem größten Kopf von allen kam als erster auf die Welt. Vier weitere Hundebabys folgten. Der erste war ein schneeweißer Lagotto und er bekam von der Züchterin den offiziellen Namen: Bruno zur Rüster Mark. Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass dieser Welpe einige Wochen später einmal Johnny heißen sollte.
In der Zeit, in der Johnny und seine Geschwister bei Lolle aufgewachsen sind, sind wir so oft es ging zur Züchterin gefahren. Zuerst haben wir nur geschaut, um Lolle und die Kleinen nicht zu stören. Mit der Zeit durften wir immer näher ran und später auch mal einen Welpen halten und etwas länger bleiben. Sabrina durfte Johnny schon ganz früh in der Hand halten. Es war bei einer Wurmkur, da war er gerade mal ein paar Tage alt, kaum größer wie ein Hamster und hatte noch geschlossene Augen.
Die folgende Zeit verging unglaublich schnell und als endlich klar war, dass der weiße Lagotto unserer sein würde, waren wir überglücklich. Denn genau den hatten wir uns so sehr gewünscht.

Abgeholt haben wir Johnny am 15. September 2008. Da waren wir fast blank, aber glücklich wie selten zuvor. Ab diesem Tag waren wir drei ein Rudel. Die Eingewöhnung ging super schnell. Er kannte uns ja bereits sehr gut und hat nicht lange gebraucht, um sich ganz an uns zu gewöhnen.
Was dann folgte lässt sich in Worten hier nur im Ansatz beschreiben. Johnnys Leben würde ein ganzes Buch füllen. Da waren mehr Abenteuer, Hochs und Tiefs, als uns alle anderen Hunde vorher seit unserer Kindheit bereitet hatten.
Da war die lustige Welpenschule, die Phasen der schweren Krankheit, Ausflüge ins Erzgebirge und ans Meer. Schwimmen, Laufen, Wandern, Bootfahren, Steinpilzsuche und noch viel mehr. Jedes mal wenn es ihm schlecht ging, wurde die Bindung nur größer, jedes mal wenn er sich etwas neues ausgedacht hatte auch. Er hatte nämlich ein Verhalten, was wir bisher auch noch bei keinem anderen Hund so intensiv erlebt hatten. Er hat Verhaltensweisen anderer Hunde und auch Menschen nachgemacht und war erfinderisch. Zum Beispiel hat er immer einen Wolf imitiert und geheult, wenn er sich darüber gefreut hat, dass wir da sind. Das hat er sich bei zwei Huskys im Erzgebirge abgeschaut und danach bis zum Vorletzten Tag gemacht. Erst vor ein paar Tagen hat er sich wieder ein neues, lustiges Spiel bei unseren Spaziergängen ausgedacht. Austricksen konnte man ihn immer nur einmal, dafür war er zu intelligent. Bei Johnny lief alles über Vertrauen.
Er durfte dort wo es niemanden gestört hat, immer ohne Leine laufen, auch im Wald. Die Bindung zu ihm war so stark, dass selbst Wildtiere ihn nicht aus der Ruhe gebracht haben oder er von uns weggelaufen wäre. Wenn wir nicht wollten, dass er sich weiter von uns entfernt, mussten wir einfach nur stehenbleiben. Wollten wir, dass er zu uns zurück kommt, hat ein halber Schritt zurück ausgereicht.
Alle Kommandos die er konnte, brauchten wir nur leise zu sagen und zu jedem gab es ein kaum sichtbares, dezentes Handzeichen. Kinder fanden das immer besonders toll, wenn wir ihn lautlos, mit winzigen Bewegungen dazu gebracht haben, sich hinzusetzen oder hinzulegen.
Er hatte eine Bindung zu uns wie eine Ankertrosse. Er war unser Anker und wir seiner. Tierarztbesuche waren toll für ihn. Wir haben sie ihm so angenehm wie es nur ging gestaltet. Scheren ebenfalls. Lagotti haaren nämlich nicht und sie lösen auch keine Allergien beim Menschen aus. Johnnys Fell musste deshalb regelmäßig geschoren werden. Wir haben das immer selbst gemacht, um es so angenehm wie möglich für ihn zu machen. Scheren war für ihn schnell so toll, mit Spiel und Belohnung, dass er sich immer darauf gefreut hat. Dann ist er brav stehengeblieben und war total entspannt.
Johnny hat uns vertraut und wir ihm. Er hat unser Leben auf eine Art bereichert wie es kein Mensch schaffen würde.
Wir haben uns immer wieder gewundert, welche starken Eindrücke und Spuren er oft bei anderen Menschen hinterlassen hat. Durch ihn sind neue Bekanntschaften entstanden und nur durch ihn bin ich vor 7 Jahren dazu gekommen zum ersten mal eines meiner Videos öffentlich zu zeigen. Worum es sich dreht könnt ihr euch denken. Johnny!
Der kleine Kerl hat sogar Menschen verändert. Das kannten wir bisher nicht von Hunden. Krankenbesuche mit ihm waren eine Geschichte für sich. Er war für Menschen Medizin pur.

Das er bei unseren Reisen wegen seiner Krankheit nicht dabei sein konnte war für ihn kein Problem, denn unser zu Hause ist das Haus meiner Eltern und meine Mutter war für Johnny genau so da, wie wir es immer für ihn waren.
Für uns dagegen war es eine Belastung und Ansporn zugleich. Heimweh hatten wir unterwegs nie, aber wir haben Johnny vermisst. Immer.
Besonders auf dem Jakobsweg war er für uns Ansporn und Motivation. Es gab einige Tiefpunkte, an denen wir uns gegenseitig damit voran gepusht haben, dass Johnny am Kap auf uns in Form eines Flugtickets zu ihm wartet!

Wir sind momentan so froh, dass der Plan mit der Atlantiküberquerung für diesen Winter nicht aufgegangen ist. Denn gerade in den letzten Wochen haben wir extrem viel Zeit mit ihm verbracht. Wäre alles nach Plan verlaufen, wären wir jetzt auf dem Atlantik.

Wir sind seit Tagen in einem Zustand, den wir so intensiv und gleichbleibend bisher nicht gekannt haben. Eine Trauer und Leere, die im Gegensatz zu anderen Verlusten nicht abebben will. Sabrina habe ich noch nie so traurig und hilflos gesehen. Gerade sie trifft es am heftigsten. Sie hat sich so intensiv und ausdauernd um ihn gekümmert, damit er schmerzfrei und ohne nennenswerte Probleme mit seiner Autoimmunerkrankung leben konnte. Ohne Sabrina wäre Johnny gar nicht so weit gekommen.

Wie stark der Verlust auch für andere ist, sogar Menschen die wir kaum kennen oder Menschen die Johnny kaum kannten, erstaunt uns momentan ebenfalls und berührt uns zutiefst.

Meine Oma leidet enorm unter dem Verlust. Sie ist mittlerweile 82 Jahre alt und kennt noch gut die Zeit, in der Hunde ganz anders behandelt wurden. Sie hat schon viel erlebt, aber gestern hat sie zu mir gesagt: „Früher haben wir darüber gelacht, wie man so an einem Hund hängen kann, bei Johnny komme ich jetzt selbst nicht drüber weg.“

Mein Papa hat ein Gedicht über ihn geschrieben und in Voerde wurden dutzende Kerzen für Johnny angezündet, als er noch gekämpft hat.

Wir haben Johnny geliebt wie sonst nichts auf der Welt. Jetzt sind wir so unendlich dankbar, dass wir ihn hatten und so unendlich traurig, dass er das Wertvollste verloren hat. Sein Leben.

Gestern früh sind wir dann in die Tierklinik gefahren. Wir haben alle Unterlagen bekommen und ein langes Gespräch mit der Ärztin geführt, die Johnny durch die Nacht begleitet hat. Es wurde wirklich alles medizinisch mögliche für ihn getan. Er hatte einfach keine Chance. Die unterdrückte Autoimmunerkrankung hat verhindert, dass sein Körper überhaupt auf die entzündete Bauchspeicheldrüse reagieren konnte.

Nach dem Gespräch haben wir Johnny mitgenommen. Er wurde in eine seiner Decken eingewickelt und wir sind mit ihm so vorsichtig wie immer zurück nach Wesel, nur diesmal zum Tierkrematorium gefahren. Dort haben wir ihn gemeinsam in den Abschiedsraum getragen und aufgebahrt.
Wir waren lange bei ihm. Haben ihn angefasst und konnten ihn riechen. Das mag sich vielleicht jetzt merkwürdig anhören, aber Johnny hat nie nach Hund gerochen. Sein Fell hatte eine andere Eiweißstruktur. Johnny roch ein wenig so wie ein Wellensittich riecht, nur besser. Wir mochten diesen Geruch unheimlich gerne. Wenn er mal Angst hatte, hat sich dieser Geruch immer deutlich verändert. Wir hatten dafür immer eine feine Nase. Ich kann den Geruch nicht beschreiben, aber wir hätten es gerochen, wenn er Angst gehabt hätte. Johnny hatte zuletzt keine Angst.

Am Montag wird er dann einzeln feuerbestattet. Wir werden auch dort dabei sein.

Seine Asche kommt dann in eine helle Urne, die zur Seebestattung frei gegeben ist.

Wir haben ihn damals bewusst zu uns geholt und wir bringen ihn jetzt bewusst auf den letzten Weg.

Es ist kaum zu begreifen, mit welcher Wucht dieser kleine weiße Lagotto in diese Welt gepurzelt ist, welche Spur er hinterlassen hat und mit welcher Wucht er wieder verschwunden ist.

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