Heute ist der Tag, an dem meine Törnplanung nicht ganz aufgeht. Der Wettergott, oder wer auch immer, macht mir einen Strich durch die Rechnung.
Meine Abfahrtszeit in Begles sollte 12 Uhr sein. Dann müsste der Strom kippen, also von Ebbe auf Flut wechseln und wieder bergauf fließen. Tut er allerdings erst etwa 30 Minuten später. Stillwasser gibt es im Prinzip kein nennenswertes. Das geht hier ziemlich zackig. Ich löse die Leinen um genau 12:28 Uhr, der Bukh läuft da bereits eine Weile und wir können gleich mit hoher Drehzahl starten.
Am Anfang geht es noch ganz entspannt zu. Der Strom schiebt uns ordentlich, aber ich lasse mich nicht davon täuschen. Mir ist bewusst, dass die Flutwelle bei Nipp nicht bis nach Castets-en-Dorthe reichen wird, also fahre ich gleich von Anfang an mit 2.600 U/min. Das mache ich eigentlich nur ungern. Der Propeller läuft da nicht mehr im Optimalbereich. Es ist laut und man verbraucht deutlich mehr Diesel. Aber es geht nicht anders. Um 17:30 sind wir bei der Schleuse zum Kanal angemeldet. Sabrina hat das in die Hand genommen und mit dem Schleusenwärter gesprochen. Er wird die Schleuse so vorbereiten, dass ich direkt aus dem Fahrwasser in die Kammer kann.
Nach einer Weile fängt es an zu regnen. Und wie es regnet. Eigentlich war wieder nur mal ab und zu ein kleiner Schauer gemeldet. Aber es hört nicht mehr auf zu regnen, den ganzen Tag lang nicht mehr. Ich hole mir irgendwann einen Eimer. Den stelle ich vor den Niedergang, setz mich darauf und improvisiere damit einen Innensteuerstand unter der Sprayhood. Eos steuere ich über die Tasten am Autopiloten.
Die Garonne wird derweil immer schmaler und Eos langsamer. Der Zeitpunkt, an dem wir nicht mehr geschoben werden, kommt viel früher als erwartet. Meine Kalkulation fängt an zu kippen und die Ankunftszeit verschiebt sich immer weiter nach hinten.
Während das Flussufer immer näher rückt und die verschlafen wirkenden Dörfer an mir vorbei ziehen, werde ich so langsam etwas nervös. In letzter Zeit ist in weiten Teilen Frankreichs viel Regen gefallen. Sollte der mir jetzt zum Verhängnis werden?
Immer mehr Wasser kommt uns entgegen. Als die Geschwindigkeit auf unter 4 Knoten fällt, erhöhe ich die Drehzahl noch einmal auf 2.800 U/min. Das sind nur noch 200 Umdrehungen unter der maximal möglichen Drehzahl. Und ich fahre jetzt anders. Raus aus dem Fahrwasser und auf die Innenseiten der Kurven, so dicht wie möglich ans Ufer. Beides mache ich nicht gerne, aber eine andere Chance gibt es nicht. Einen Hafen, einen Anleger oder sonst etwas zum festmachen gibt es auch nicht. Der Anker wäre die einzige Chance. In einem schmalen Fluss, den ich nicht kenne, mit starker Strömung und Untiefen, auch keine besonders erstrebenswerte Lösung.
Also ran an die Innenseite und im Wechsel die Augen aufs Wasser, Echolot und Geschwindigkeit. Weit innen sind wir glatt einen Knoten schneller, noch dazu sparen wir Wegstrecke. So könnte es klappen. Zwar spät, aber es könnte gehen. Ich denke dabei an die Zeit im Rhein. Hier habe ich das auch immer so gemacht, um schneller bergauf zu kommen. Aber im Gegensatz zum Rhein zwischen Wesel und Rees, kenne ich diesen Fluss nicht. Ich hab ein bisschen Bammel und irgendwann passiert es auch. Mit dem Backbordkiel bleibe ich irgendwo hängen. Vielleicht ein ins Wasser gekippter Baum, vielleicht Schlamm. Es fühlt sich so an, als wenn jemand den linken Kiel festhält und Eos zieht sofort in Richtung Ufer. Ich kuppel schnell den Autopiloten aus und ziehe die Pinne zu mir. Gerade noch rechtzeitig! Nach diesem Zwischenfall bin ich etwas vorsichtiger. Wage mich nicht mehr ganz so nah ans Ufer heran.
Mittlerweile fahren wir stellenweise nur noch 3 Knoten über Grund. Sabrina halte ich immer wieder auf dem Laufenden. Irgendwann schätze ich die neue Ankunftszeit auf 18:30 Uhr. Das ist eigentlich zu spät für Sportboote. Normalerweise ist das Zeitfenster zwischen 18 und 19 Uhr für die Berufsschiffe reserviert. Sabrina ruft nochmal beim Schleusenwärter an und gibt ihm die Infos durch. Er meint: Kein Problem. Bis 19 Uhr wartet er auf jeden Fall auf mich und wenn ich noch später ankommen sollte, lässt er die Schleuse offen. Dann soll ich ihn anrufen, wenn ich da bin. Er käme zur Schleuse und würde mir einen Platz zeigen, wo ich über Nacht bleiben kann.
Der Zeitdruck ist damit erst mal weg. Ich bin mal wieder begeistert, wie problemlos das in Frankreich geht.
Also weiter den Fluss hochquälen. Eos und der Bukh tun mir dabei Leid. Es ist ein Krampf. An den Engstellen geht die Geschwindigkeit noch weiter runter. Absoluter Tiefpunkt ist die Gegend um Langon. Nur noch 2 Knoten über Grund, bei etwa 6 Knoten Fahrt durchs Wasser.
4 Seemeilen bis zum Ziel stehen noch auf dem GPS Navigator. Eigentlich ein Katzensprung. Hier und heute nicht. Aber irgendwann haben wir es fast geschafft. Die Schleuse, ich kann sie im Fernglas bereits sehen. Herrlich. Wie ich mich freue. Dazu hört es endlich auf zu regnen. Wie bestellt.
Nur noch eine Brücke, dann vorsichtig raus aus dem starken Strom und rechtzeitig Gas wegnehmen. Die Schleusenanfahrt liegt im Prinzip direkt neben dem Fahrwasser. Als Eos in der Kammer und die Mittelleine fest ist, bin ich überglücklich. Endlich vorbei, die Quälerei auf der Garonne.
Schade, dass es so schwierig war, denn dabei ist die Schönheit der Garonne ein wenig untergegangen. Der Fluss ist noch sehr natürlich und wenig ausgebaut. Fällt ein Baum ins Wasser, dann bleibt er dort liegen. Bis auf ganz wenige Stellen gibt es auch keine Tonnen im Fluss. Und immer wieder treffe ich auf Fischer, die zu ihren Reusen fahren oder mit Netzen fischen.
Als ich in der Schleuse bin, geht alles schnell und einfach. In kürzester Zeit ist Eos oben, im Garonne-Seitenkanal. Endlich!
Die zweite Schleuse liegt nur ein paar hundert Meter hinter der ersten und der Schleusenwärter erklärt mir, dass er auch diese Schleuse noch für mich bedienen wird, damit ich bis zum ersten Hafen kann. Also schnell weiter, aber kurz bevor ich aus der Kammer bin, winkt er mit seinem Handy. „Telefon für dich!“
Ich bin verdutzt, halte Eos so schnell es geht an und er gibt mir sein Handy rüber. Es ist der Hafenmeister. Er will mir erklären, wo ich festmachen kann und meint, dass er nach dem Abendessen, so gegen 20 Uhr, noch zu mir kommt, um mir alles zu erklären und den Schlüssel für die Dusche zu geben.
Nach dem Gespräch geht’s weiter. Auch die Kinder vom Schleusenwärter kommen mit, der Hund ist auch dabei. Eos ist die Attraktion des Tages. Kommt offenbar nicht so oft vor, dass hier ein Segelboot aus Deutschland ankommt und wie sich später zeigen sollte, dass im April überhaupt Boote die Garonne hoch kommen.
Nach der zweiten Schleuse verabschiede ich mich von allen und mache die Leinen klar. Als ich den Platz von weitem sehe, bin ich etwas erschrocken. Nicht weil irgendwas schlecht aussieht, im Gegenteil, der erste Eindruck dieses Hafens ist Top. Nein, hier liegen die Boote mit dem Heck zum Steg und sind vorne an einer Mooringboje fest. Gesehen habe ich das schon oft, in Büchern und Blogs von Fahrtenseglern, aber bisher noch nie selber so festgemacht. Also bin ich zunächst erstmal ganz langsam vorbei gefahren und hab mir in Ruhe überlegt, wie ich in diese Lücke reinkomme und Eos fest kriege.
War dann eigentlich gar nicht so schwierig und hat gut geklappt. Habe sie rückwärts so rein gefahren, dass ich gut mit dem Radeffekt arbeiten konnte und als die Boje am Bug war, schnell eine Leine festgemacht und weiter zurück gesetzt. Das schwierigste war, die Heckleinen am Steg zu befestigen. Klampen gab es nicht, sondern nur so kleine Augbolzen. Übers Heck konnte ich auch nicht so leicht raus, da ist ja gerade alles verbastelt und die Windfahnensteuerung war auch im Weg. Nach ein paar Versuchen hab ich dann doch mit einem Wurf die Leine hinter dem Augbolzen verheddert bekommen.
Danach in Ruhe alles ausgerichtet, essen gekocht, müde geworden.