Ich selbst habe bisher noch keinen Sturm auf See erlebt. Nur mal Binnen, vor Anker, aber das ist eine andere Geschichte. Im Ärmelkanal und in der Biskaya hatten wir mit Eos auch mal Windstärke 7, aber eben noch keinen Sturm oder stürmischen Wind, der ja erst bei 8 Beaufort beginnt und bei 9 als „vollwertiger“ Sturm bezeichnet wird.
War mir ganz recht so und es durfte von mir aus auch noch lange so bleiben, denn die Erfahrungen mit Eos in der Biskaya bei Windstärke 7 waren mir eigentlich vollkommen genug.
Am 8. Mai bin ich, nach tagelangem warten in Korinth, morgens gen Westen gestartet. Ich hatte diesen Ort so satt! Immerhin war es in der Nacht vor dem anstehenden Törn einigermaßen ruhig. Vielleicht lag es auch daran, dass Nomade diese Nacht nicht das einzige Schiff hier war. Am Vorabend ist noch eine Ketsch aus Holland angekommen und eine Charteryacht.
Der Wetterbericht meldete 4 bis 5 Beaufort aus West, wie immer, hier im Golf.
Eigentlich fahre ich bei 5 Beaufort nicht raus, wenn es nicht unbedingt sein muss, denn wenn es blöd kommt, liegt der Wetterbericht auch mal 2 Windstärken daneben und es wird unangenehm. Erst recht fahre ich bei so einem Wetter eigentlich nicht raus, wenn ich das Revier nicht kenne, noch mehr nicht, wenn es sich um Gegenwind handelt und ganz bestimmt nicht, wenn es sich um den ersten Einhandtörn mit Nomade handelt. Aber da war eben Korinth und die Tatsache, dass es in den nächsten Tagen nicht besser wird.
Also raus hier und nur weg. Den Plan bin ich am Vortag X Mal durchgegangen und hatte einige Schutzhäfen und Buchten in der Karte markiert, falls es doch nicht klappen sollte und ich beidrehen müsste.
Die Holländer sind eine Weile vor mir raus und waren immer in Sichtweite, die Charteryacht direkt neben mir, alle mit gleichem Kurs: Galaxidi
Galaxidi, auch so ne Geschichte. Dass ich jemals wieder nach Galaxidi wollen würde, hätte ich vor über einem Jahrzehnt auch nicht gedacht. Damals, ich war gerade Anfang 20, habe ich dort auf der Mole gesessen, aufs Meer geschaut, und war schwer enttäuscht, weil mein Ersatzwehrdienst, den ich in diesem kleinen Dorf ableisten wollte, nicht geklappt hat und ich wieder nach Hause geflogen bin.
Und jetzt? Jetzt war das kleine Dorf plötzlich wieder mein Ziel.
In der Bucht stand immer noch unangenehmer Schwell vom Sturm am Vortag. Es dauert im Golf unheimlich lange, bis der sich ganz abgebaut hat. Vermutlich durch permanente Reflexionen an den steilen Felsküsten.
Anfangs klappte alles wunderbar. Es war fast windstill und ich kam mit etwa 6 Knoten unter Maschine gut voran. Als der Wind dann einsetzte, konnte ich sogar eine Weile die Genua setzen und hoch am Wind aufs erste Kap zu halten. Danach hatten wir den Wind wieder genau auf den Bug und das Segel wurde eingerollt.
Es dauerte auch nicht lange, da drehte der Wind schnell auf. So wie gemeldet.
Die Wellen wurden allmählich etwas höher, aber das machte Nomade nichts aus. Sie ist da durchgepflügt, als ob es keine Welle gegeben hätte. Die Charteryacht hatte zu dem Zeitpunkt bereits beigedreht, auf einen kleinen Hafen an der Südküste und es dauerte nicht lange, bis die Holländer vor mir auch plötzlich ihren Kurs auf diesen Hafen geändert haben. Da ist mir wirklich kurz das Herz etwas tiefer gerutscht. Sollte es da vorne jetzt etwa noch heftiger werden?
Kurze Zeit später wurde meine Frage beantwortet. Ja, es wurde heftiger. Erst 6, dann 7 und ich hätte zu dem Zeitpunkt genau das gleiche gemacht wie die Crew der Stahlketsch aus Holland. Nur hatte ich das Problem, Einhand unterwegs zu sein. Gegen den Gedanken an ein Anlegemanöver mit Buganker und Heckleinen in einem kleinen Hafen bei so viel Wind habe ich mich gesträubt. Das wäre wahrscheinlich schief gegangen. Zur Not wollte ich lieber vor dem Wind in eine der geschützten Buchten an der Nordküste ablaufen oder eben wieder zurück nach Korinth.
Aber jetzt schon aufgeben, wo Nomade das noch ohne Probleme schaffte? Also bin ich weiter in Richtung Galaxidi gefahren, bis es irgendwann wirklich nicht mehr ging. Mittlerweile hatte der Wind auf 8 Beaufort zugelegt und der Seegang wurde auch für Nomade zu stark um da genau im 90° Winkel rein zu fahren. Ganz gestanden hat sie noch nicht, aber wir sind nur noch sehr langsam vorwärts gekommen und es kam festes Wasser übers Deck, wenn sie mit dem Bug kurz in die ruppige See eingetaucht ist.
Also bin ich ein paar Grad abgefallen und habe Kurs auf das Kap Pagkalos gesetzt. Ich wollte versuchen, hoch am Wind bis kurz vors Kap zu fahren, um dann unter Landschutz nach Norden zu segeln und eine kleine Ankerbucht anzulaufen.
Das war noch ein weiter weg und ich war mir am Anfang auch nicht sicher, ob wir das schaffen können. Aber sie lag wunderbar stabil im Wasser. So ganz anders, als ich das von Eos bisher kannte. Keine Bauchklatscher, kein Gezappel und ich hätte nie gedacht, das ich jemals bei solchen Bedingungen einen Anflug von Freude hätte entwickeln können. Aber genau das passierte irgendwann, als mir absolut klar war, das Nomade mit diesen Bedingungen keine Probleme hatte. Im Gegenteil, es hat ihr überhaupt nichts ausgemacht und sie war nicht zu stoppen.
Manchmal, wenn sie in sehr steilen Wellen kurz mit dem Bug abgetaucht und das Wasser übers Deck und gegen die Scheiben geflogen ist, hatte ich sogar ein Grinsen im Gesicht. Denn das für mich überraschende an diesem Trip war, dass ich auch diesmal nicht seekrank geworden bin. Keine Spur von Übelkeit oder schlechten Gedanken! Nichts, nicht mal ein flaues Gefühl im Magen. Ich weiß es natürlich nicht sicher und ich will mich auch noch nicht zu früh freuen, aber ich denke, es liegt sehr viel am Schiff.
Nach ein paar Stunden waren wir endlich am Kap und ich war so zufrieden wie selten zuvor auf See, dass dieser Plan so aufgegangen ist. Der erste stürmische Wind und es hat problemlos funktioniert. Darüber war ich glücklich.
Erst kurz vor der Landspitze habe ich den Kurs nach Norden geändert und wenige Minuten später war Ruhe im Schiff. Der Wind hatte bereits eine Weile vorher wieder abgenommen und wir konnten die letzten Meilen ganz gemütlich durch den Golf fahren, bis zu einer kleinen abgelegenen Bucht, die gut nach Westen geschützt war.
Ich habe etwa 150m vorm Ufer geankert und hier übernachtet. Der Golf hat sich am Abend und in der folgenden Nacht allerdings weiter aufgeschaukelt. Irgendwann war der Schwell auch in dieser Ecke angekommen und hat Nomade ordentlich schaukeln lassen.
Am nächsten Morgen bin ich deshalb noch 5 Seemeilen weiter, bis in die geschützte Bucht von Antikyra gefahren, denn für diesen und den folgenden Tag war wieder sehr starker Wind gemeldet.
In Antikyra, dem kleinen Fischerdorf, gefiel es mir sehr gut. Freundliche Menschen, völlig entspannt und ein sehr hübscher kleiner Hafen. Anfangs stand auch noch kein nennenswerter Schwell hier drin, am Nachmittag wurde es aber immer heftiger und Nomade ist schwer ins rollen geraten. Trotz langer Festmacher und Wind, der uns von der Pier wegdrückte, ist sie irgendwann längsseits gegen die Mauer geschaukelt. Mit einem lauten Knall hat sich dabei einer der alten Fender verabschiedet. Wieder einer weniger. Jetzt habe ich noch 4 neue und einen alten.
Abends konnte ich Nomade dann um die Ecke herum an einen nahezu schwellfreien Platz verlegen und zwei ruhige Nächte verbringen.
Die Tage habe ich in Antikyra mit Reparaturen verbracht. Vor allem die Genua hat mir viel Arbeit und Kopfzerbrechen bereitet. Sie hat es leider hinter sich und ist wieder an mehreren Stellen gerissen. Das ist sehr schade, denn über 90% des Segels sind in sehr gutem Zustand und sie steht wirklich gut. Allerdings wurde sie während der langen Zeit an Land nicht von der Rollanlage genommen und die griechische Sonne hat das Achterliek verbrutzelt. Dort löst sie sich jetzt nach und nach auf.
Ich habe wieder mit Segeltape geklebt und viel genäht. Einsetzen kann ich sie aber definitiv nur noch bei wenig Wind. Ich hoffe, sie hält noch bis Frankreich durch.
Nach der langen Westwindphase sollte für den Donnnerstag laut Wetterbericht endlich mal ein paar Stunden Ostwind einsetzen und ich hatte die Hoffnung, dass der Volvo diesmal etwas länger still bleiben könnte.
Also bin ich wieder los und kurz nach dem Kap setzte dann, dreimal dürft ihr raten, ja, Westwind ein!
Gegen den Wetterbericht hier im Golf von Korinth war der Wetterbericht in der Biskaya ein Traum. Da habe ich mich manchmal schon fast beschwert, wenn die Windrichtung mal 20° daneben war, oder sich um 2 Windstärken verschätzt wurde. Hier kann man die Prognose selbst wenige Stunden vorher nur als vagen Anhaltspunkt verwenden. Nur eins ist fast immer sicher, egal was gemeldet wird: Der Wind kommt aus Westen!
Und die Stärke? Irgendwas zwischen 1 und 9. Ein Schotte, der hier schon Jahre segelt, hat mir in Kilada erzählt, dass er mal bei gemeldetem schwachen Wind raus gefahren ist und bei Windstärke 10 mit Hängen und Würgen in den nächsten Hafen kam.
Dieses Wetterphänomen mit seinen schnellen Wechseln und der Unberechenbarkeit liegt an der Form des Golfs und seinen hohen Bergen, auf deren Gipfeln auch jetzt im Mai noch Schnee liegt. Der Golf wirkt dabei wie eine Düse. Der Wind wird kanalisiert und beschleunigt. Thermik und lokale Unterschiede spielen dabei auch noch eine große Rolle und lassen die Vorhersagen ungenau werden.
Aber ich bin jetzt in Trizonia, einer kleinen Insel am Ende des Golfs. Hier gibt es ein aufgegebenes Marina-Projekt, das von Aussteigern und Abenteurern entdeckt wurde. Die Brücke von Patras konnte ich auch bereits sehen und hier warte ich nun auf ein günstiges Wetterfenster für die nächste Etappe durch den Golf von Patras und höre mir die interessanten Geschichten in dem bunten Hafen an.