Als ich am 10. Oktober, um kurz nach Acht, zur Küstenwache in Limnos gehe um auszuklarieren, da wissen zu dem Zeitpunkt nur einige wenige Menschen etwas von diesem Plan. Sabrina und ich hatten uns zwar schon länger darauf vorbereitet, aber selbst wir waren uns bis vor kurzem nicht sicher, ob diese Tour so möglich ist. Und so haben wir das einfach auf uns zukommen lassen. Hatten die Tour in den Osten zwar auf dem Schirm und genau geplant, aber auch genug Alternativen und Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung, sollte das Wetter zu schlecht werden oder Nomade Schwierigkeiten bereiten.
Aber die letzten Etappen liefen so gut, dass ich früher als erwartet auf der Absprunginsel Limnos war. Und so stand ich nun etwas angespannt mit all meinen Papieren an diesem Morgen bei der Küstenwache. Angemeldet hatte ich den Vorgang bereits zwei Tage zuvor. Da wurde mir noch gesagt, dass ich auch bloß meinen Bootsführerschein und dieses und jenes mitbringen soll. Heute ist allerdings ein anderer Beamter da. Als ich sage, dass ich in die Türkei ausklarieren möchte, nickt er, fragt nach meinem Pass, lässt sich das Flaggenzertifikat zeigen und meint: „Ok, gute Reise.“
Ich stehe verdutzt da, hatte ein längeres Prozedere und diversen Papierkram erwartet. Deshalb frage ich ihn: „Das ist alles? Keine Papiere, keine Stempel ins DEKPA Dokument?“
„Nein“ antwortet er und erklärt dann in aller Ruhe die neueste Gesetzeslage. Laut seiner Aussage wird das Ausklarieren in die Türkei nur noch intern notiert, solange Besatzung und Schiff aus einem EU-Mitgliedsstaat sind. Mehr nicht. Seiner Meinung nach ist das nicht einmal ein richtiges Ausklarieren. Ich könne jederzeit rüber meint er und müsste eben nur einmal im Jahr das DEKPA Dokument verlängern, sollte ich zurück kommen.
Irgendwie ungläubig ziehe ich wieder ab, mache Nomade startklar und lege ab. Soll mir so recht sein und passt auch gut in das Bild, welches ich in den paar Monaten in Griechenland gewonnen habe. In Korinth wurde ich trotz DEKPA Geraffel zu Zoll und Küstenwache geschickt, das Flaggenzertifikat wurde einbehalten, obwohl ich nur meine Liegegebühr von ein paar Euro Fuffzich bezahlen wollte und hier kann ich plötzlich jederzeit in die Türkei segeln…
Ok, vergessen wir das. Reden wir noch kurz über Limnos. Ich würde fast behaupten, für mich die griechischste aller Inseln, die ich bisher besucht habe und das im absolut positiven Sinn. Viel weniger Palaver, viel aufgeräumter, weniger touristisch, irgendwie gemütlich.
Am Tag vor meiner Abreise setzt sich gleich neben das Cockpit von Nomade ein alter Fischer auf einen Stuhl, packt die Handleine zum angeln aus und singt das alte griechische Lied „Aponi Zoi“. Das war für mich der griechischste Moment dieser Reise. Dieses Lied habe ich vor etwa 15 Jahren bei der Suche nach griechischen Liedern irgendwo gefunden und lieb gewonnen. Ich habe dieses Lied noch nie irgendwo in Griechenland oder sonst wo gehört. Immer nur zu Hause am Rechner, von Zeit zu Zeit.
Und da sitzt nun dieser Fischer neben Nomade und singt dieses Lied. Ich war fasziniert, wäre gerne länger geblieben.
Aber ich hatte ja ausklariert. Oder doch nicht? Wer weiß das schon in Griechenland. Eigentlich auch egal. In Sachen Gelassenheit, da haben die Griechen die Nase vorn. Mich macht das ebenfalls gelassen. Und so laufe ich nach 23 Seemeilen bei absoluter Flaute eine völlig leere Bucht im Norden von Limnos an, lasse den Anker auf 4m Wassertiefe fallen und gehe früh schlafen, um ebenso früh wieder aufzustehen. Um 4 Uhr klingelt der Wecker und eine Weile später ist der Anker wieder an Bord.
Raus aus der Bucht und herum um das letzte Kap in Griechenland. Ein komisches Gefühl. Ich war lange hier, wusste wie ich mich verhalten muss, was so abging.
Was vor mir liegt ist völlig neu für mich. Ich kann die Sprache nicht, ich war noch nie in der Türkei. Ich habe keinerlei Erwartungen oder genaue Vorstellungen wie das so sein wird. Auf das Mediengebrüll gebe ich sowieso nichts. Ist mir egal. Ich will sehen wie die Menschen sind, wie die Orte sind, wie es riecht und schmeckt, das Land. Darauf freue ich mich und bin ziemlich neugierig.
Vor dem Land liegt allerdings noch ein gutes Stück See! Ich hatte die Route über den Norden von Limnos gewählt, weil klar war, dass nordöstlicher Wind einsetzen wird. Und so hoffe ich, dass der Wetterbericht stimmt und ich hoch am Wind auf die Dardanellen zu segeln kann. Stimmt mal wieder nicht ganz. Der Wind setzt spät ein, kommt dann lange aus Osten und ist nach dem Dreher auf Nordost mit etwa 6 Windstärken stärker als gemeldet. Aber gut, es geht vorwärts, wenn auch zäh und dann ruppig.
Nach etlichen Stunden erreiche ich die Dardanellen. So langsam kann ich Häuser erkennen und irgendwann Flaggen. Rot, mit Halbmond und Stern darauf. Riesige Türkische Flaggen markieren das, für mich, neue Land. Unter der Saling weht da bereits eine kleine Variante der Türkischen Flagge. Sabrina hat sie mit viel Liebe zum Detail selbst genäht.
Da über den Bosporus, das Marmarameer und die Dardanellen permanent Wasser ins Mittelmeer fließt, muss ich nun gegen den Strom fahren. Zwischen 2 und 4 Knoten schnell ist das Wasser, dicht am Ufer etwa 1 Knoten weniger. Es kommt ein bisschen Flussfeeling auf und ich denke an die Zeit auf der Rhone oder den Rhein zurück. Wasseroberfläche, Echolot und Wasserfarbe beobachten und versuchen einen Neerstrom zu finden. Das gelingt auch hier und da und so sind wir am Ende gar nicht so langsam unterwegs. Die Dardanellen sind natürlich deutlich breiter als ein durchschnittlicher Fluss und auch die Schiffe, die hier am laufenden Band in beide Richtungen unterwegs sind, um einiges größer als Rheinschiffe. Die Navigation ist allerdings wesentlich leichter. Es herrscht Lotsenpflicht, die Ozeanriesen bleiben im Verkehrstrennungsgebiet und dank AIS ist der Seitenwechsel kurz vor Canakkale für mich problemlos.
Hier verlasse ich das Europäische Ufer und mache rüber nach Asien!
Ich bin sehr aufgeregt, als ich zuerst am Fährhafen von Canakkale vorbei fahre, um gleich danach um die Ecke in die Marina abzubiegen. Ich habe mich im Vorfeld natürlich gut informiert, wo ich festmachen darf. Von der Stadtkulisse bekomme ich zunächst nichts mit. Der Tunnelblick geht durchs Fernglas. Und als der Blick auf die Gästepier endlich frei ist, traue ich meinen Augen kaum. Alles voll! Nicht nur die Gästepier, der gesamte Hafen ist bis auf den letzten Platz ausgefüllt! Das hätte ich nicht erwartet. Und so drehe ich irgendwie irritiert eine Runde vor dem Hafen, gehe dann kurz vor Anker, checke nochmal alles und beschließe dann, doch mal rein zu fahren, in der Hoffnung, doch noch einen Platz um die Ecke zu bekommen. Weit schaffe ich es nicht, dann werde ich von der Sahil Güvenlik, der Türkischen Küstenwache freundlich, aber bestimmt gestoppt und mit Handzeichen an einen Steg gewunken. Hier erklärt mir der Polizist, das absolut kein Platz mehr frei ist und ich vor dem Hafen ankern soll. Er entschuldigt sich regelrecht dafür. Morgen früh, wenn die ersten Boote den Hafen verlassen, kann ich dann an der Gästepier festmachen.
Und so verbringe ich eine unruhige Nacht vor Anker, während direkt neben mir die großen Pötte vorbeifahren und Nomade mit ihren Bugwellen von Zeit zu Zeit ganz schön durchschütteln.
Ich bin trotzdem fasziniert von dem Panorama, welches vor mir liegt und lausche dem Gebetsruf des Muezzins. Das Minarett ist blau beleuchtet und die Promenade belebt. Zwischen Nomade und der Promenade liegt ein Schwimmponton im Wasser. Darauf sind Wasserfontänen und Musikanlage installiert. Eine Art Wasserfeuerwerk synchron zur Musik. Erst sind orientalische Klänge zu hören, dann Türkische Pop Musik und schließlich läuft Vangelis und Whitney Houston.
Der nächste Tag
Ein Katamaran aus Istanbul liegt nun neben mir vor Anker. Nachdem die ersten Boote raus gefahren sind, rufe ich in der Marina an und frage, ob ich nun festmachen darf. Erlaubnis erteilt, Anker auf, Fender raus und vorsichtig in das enge Becken manövriert. Kurz vor der Pier drehe ich Nomade, lege rückwärts an. Zwei Mitarbeiter stehen da schon zum Leinen annehmen bereit. Es läuft wie geschmiert. Heckleinen fest, eindampfen, Mooringleine belegen. Keine Unterhaltung nötig, die beiden wissen genau was zu tun ist und was Sinn macht.
Dann bekomme ich großes Lob fürs Andockmanöver und werde herzlich begrüßt. Vom Hafenmeister, von den Mitarbeitern der Marina, von Bootsnachbarn. Ich bin ziemlich überrascht.
Nachdem mit Nomade alles klar ist, nehme ich alle Papiere und gehe damit ins Büro zum Hafenmeister. So ein schickes Büro habe ich zuletzt in einer französischen Marina am Atlantik gesehen. Ledersessel, aufgeräumter Schreibtisch, hübsches Schreibzeug, große Flatscreens…
Läuft alles sehr gelassen und professionell ab. Einen Agenten zum einklarieren brauche ich nicht. Die Marina kann das für mich erledigen.
Es werden jede Menge Papiere kopiert und Dokumente ausgefüllt. Türkische Lira habe ich noch keine, aber auch das ist kein Problem. Der Hafenmeister rechnet alles zusammen und nach aktuellem Kurs in Euro um. Dollar wären auch möglich gewesen.
Dann fährt ein Mitarbeiter los und erledigt den bürokratischen Teil der Einreise von Schiff und Skipper. Es müssen bei Gesundheitsbehörde, Zoll und Polizei Stempel abgeholt und Formalitäten erledigt werden. Ich muss derweil an Bord warten. Etwa eine Stunde später sind die ersten Dinge erledigt und ich muss zur Passkontrolle zur Polizei, die ein Büro gleich neben dem Marinabüro hat. Nachdem das erledigt ist, darf ich mich frei bewegen. Ich bin offiziell in die Türkei eingereist und kann 90 Tage ohne Visum hier bleiben. Der Papierkram für Nomade dauert noch eine Weile. Am Nachmittag ist dann auch das Schiff fertig und ich bekomme ein gültiges Transitlog für Nomade. Alles völlig problemlos.
Und dann ist es soweit, mein erster Streifzug durch Canakkale steht an. Zuerst gehe ich kurz zum trojanischen Pferd, das gleich neben dem Hafen steht. Es handelt sich bei diesem Stück um die originale Requisite aus dem Film Troja mit Brad Pitt.
Es geht weiter in die Stadt hinein, die außerordentlich sauber und hübsch ist. Viele Menschen sind auf der Strasse. Es gibt unzählige Geschäfte, Restaurants und Cafés. Alles ist belebt, kein Leerstand.
Als erstes hole ich Bargeld an einem Automaten, danach gehe ich ins erstbeste Handygeschäft, um nach einer SIM Karte fürs mobile Internet zu fragen. Man erklärt mir, wo der nächste Vodafone Shop oder Türk Telekom Laden ist. Ich laufe weiter und lande schließlich bei Türk Telekom.
4GB DatenSIM für umgerechnet etwa 12 Euro ist problemlos zu bekommen. Man muss nur eine Kopie meines Reisepasses machen. Den habe ich natürlich prompt nicht dabei, weil ich dachte, mein Ausweis genügt.
Also nochmal zurück zum Boot und den Pass holen. Damit bekomme ich die SIM Karte und bin nun auch wieder optimal vernetzt.
Die beiden Mitarbeiter bei Türk Telekom haben zwar kein Englisch gesprochen, aber auch das war kein Problem. Man zückt die Übersetzerapp und zwei Mädels, die gerade im Laden waren, haben ebenfalls geholfen.
Danach gehe ich weiter, gehe stundenlang durch eine Stadt, die so überhaupt nicht dem Klischee entspricht, welches man nicht selten in Deutschland von der Türkei zeichnet. Ich treffe auf aufgeschlossene, hilfsbereite Menschen. Kein Geknatter auf den Strassen, keine Verschlossenheit, ja, nicht mal nennenswert Kopftücher und auch keine langen Bärte sieht man unter vielen Hundert Menschen. Der Kleiderstil erinnert mich an Frankreich und sogar einen englischen Pub finde ich. Dabei gibt es hier keine ausländischen Touristen. In dem Pub sitzen Türken.
In dem vollen Hafen bin ich ebenfalls der einzige Ausländer und als ich zurück an Bord komme, quatsche ich mit meinen Bootsnachbarn aus Istanbul, die gerade von dort mit ihrer nagelneuen Jeanneau Sun Odyssey 51 kommen und sich nun an Bord ausruhen. Aus der Musikanlage tönen die Dire Straits und die beiden fragen mich, wie mein erster Eindruck ist. Ich bin begeistert.
Abends trifft dann tatsächlich noch ein deutscher Einhandsegler ein. Er ist in die Gegenrichtung unterwegs. Will den Winter in Griechenland verbringen und danach wieder zurück. Mit Gerd drehe ich am späten Abend noch eine kleine Runde durch Canakkale und fühle mich pudelwohl.