Im Norden geht die Sonne auf

Am Strand vor unserem Haus in Norwegen.

Achtundreißig Stunden saßen wir im Mai fast am Stück im Auto. Wir haben es ähnlich wie bei der Fahrt im Winter gemacht, nur noch ein wenig optimaler und ohne Übernachtung. Gestartet sind wir Freitag abends am Niederrhein und haben anschließend praktisch zwei Tage im rollenden Auto gelebt. Durch die erste Nacht bin ich gefahren und Sabrina hat geschlafen. Am frühen Morgen lag Dänemark bereits hinter uns und wir haben nach etwa 900 Kilometern in Schweden gefrühstückt und anschließend die Plätze getauscht.
Als ich wieder wach geworden bin, waren wir nördlich des Vänern. Von da ab haben wir uns in kurzen Etappen auf der E45 nach Norden vorgearbeitet.
Wer von uns beiden gerade nicht fahren musste, hat die Zeit auf dem Beifahrersitz zum schlafen genutzt.

Sonntagmorgen lag das Skandinavische Gebirge hinter uns und gegen Mittag haben wir das Ziel erreicht. Der Boxermotor im Subaru durfte nach 2.285 Kilometern zum ersten Mal ganz abkühlen und wir waren endlich wieder auf „unserer“ Insel in Helgeland.
Helgeland, das ist jene mythenreiche Landschaft im Königreich Norwegen, in der es mehr Inseln gibt, als ein Mensch in seinem Leben jemals erkunden könnte. Es sei denn, man würde jeden einzelnen Tag seines Lebens eine andere Insel besuchen. Dann bräuchte man etwa 41 Jahre bis man alle gesehen hat. Klingt unglaubwürdig, ich weiß, aber es gibt tatsächlich fast Fünfzehntausend Inseln, allein in Helgeland.

Auf einer dieser Inseln steht unser Haus und wir stehen an diesem warmen Tag im Mai davor und sind aufgedreht wie kleine Kinder. Eigentlich müssten wir hundemüde sein.
An eine Runde Mittagsschlaf war aber nicht im Geringsten zu denken. Wir mussten unbedingt erst alles einmal sehen, immer wieder tief durchatmen, die Waldluft aufsaugen, das Meer schnuppern, durch unseren Wald gehen, einmal durchs Haus laufen und dann doch hundemüde auf der Couch einschlafen.

Am nächsten Tag waren wir wieder im Geschäft. Wir haben den Subaru und den Anhänger ausgeladen und praktisch nahtlos dort weitergemacht, wo wir im Februar aufgehört hatten. Die erste Woche haben wir hauptsächlich im Wald und im Garten geackert.
Bei schlechtem Wetter wurde das Schlafzimmer renoviert und Baumaterial besorgt. Man bekommt hier zwar alles, aber die Wege sind halt ziemlich weit. Mal eben zum Baumarkt fahren, um eine Packung Schrauben zu kaufen, geht hier nicht. Da muss auf Listen gesammelt werden, damit sich so eine Fahrt lohnt. Daran gewöhnt man sich aber recht schnell.

Nach der ersten Woche war das Gelände ums Haus wieder begehbar. Die Freileitungen waren nicht mehr durch Bäume gefährdet und unser Bach hinterm Schlafzimmer konnte wieder fließen.
Das erste Feuerholz kann nun trocknen und der Grünschnitt ist zum verrotten wieder in den Wald gewandert.
Nach dieser ersten Woche hatten wir uns auch einigermaßen an die extrem langen Tage gewöhnt.
Anfangs war das wirklich schwierig für uns. Man wird einfach nicht müde, wenn um 23 Uhr noch die Sonne scheint. Es ging uns deshalb mehrmals so, dass wir nach dem Abendessen nochmal raus in den Wald sind und beim arbeiten völlig die Zeit vergessen haben.
Nach dieser Eingewöhnungsphase konnten wir die langen Tage aber genießen.

Was wir von Anfang an genießen konnten, ist die atemberaubende Schönheit der Landschaft in Helgeland. Wir wären am liebsten jeden Tag nur wandern gegangen. Am Norwegischen Nationalfeiertag haben wir das auch gemacht. Da ruht nämlich im ganzen Königreich die Arbeit und vor jedem Haus weht die Nationalflagge. Da haben wir natürlich mitgemacht.
Am nächsten Tag ging es weiter mit Projekten am Haus. Garagendach erneuern, Teile der Fassade austauschen, streichen, schleifen, Sachen zum Wertstoffhof bringen, mitgebrachte Möbel aufbauen…

Am Ende der zweiten Woche haben wir das Tempo ein wenig rausgenommen, denn Sabrinas Urlaub neigte sich dem Ende zu. Und den wollten wir nicht in Arbeitsklamotten ausklingen lassen. Wir haben lange Abende vor dem Kamin verbracht und die taghelle Nacht in unserem Wald in uns aufgesogen. Dort um Mitternacht zu stehen und lediglich zu lauschen ist einfach nur faszinierend.
Es hört sich an wie im Urwald. Naja, es ist halt ein Urwald.
In Helgeland leben wesentlich mehr große Wildtiere als Menschen und in unserer dünn besiedelten Region ist dieses Verhältnis nochmals ein Stück extremer. Die Besonderheit dabei ist, dass sich kurz vorm Polarkreis die Verbreitungsgebiete der Geweihträger aus dem Süden mit der Verbreitung der Arten aus dem Norden überschneiden. Hier gibt es deshalb Rehe, Rothirsche, Elche und Rentiere. Daneben kommen alle vier großen europäischen Raubtiere vor: Wolf, Braunbär, Vielfraß und Luchs.
Bären und vor allem Wölfe sind allerdings extrem selten.
Elche und auch Rehe sind hier so häufig, dass kein einziger Tag vergeht, an dem wir keine sehen. Manchmal laufen sie direkt hinter unserem Schlafzimmer vorbei. Dort queren zwei Wildpfade unser Grundstück.

Filou träumt. Vielleicht von Elchen?

Hier oben, weit weg von den größeren Ortschaften, erlebt man fast jeden Tag ein kleines Abenteuer und manchmal ereignen sich Dinge, die ihr mir wahrscheinlich nicht glauben würdet. Manche dieser Geschichten kann ich mit einem Foto untermauern, manche müsst ihr mir einfach glauben, oder auch nicht.
Zum Beispiel die Geschichte vom Elch, der durch die Bucht vor unserem Haus schwimmt, um auf die Insel mit dem leckeren Moos zu kommen, oder die Geschichte vom Reh, das ab und zu Nachmittags ganz allein im Meer badet.
Dann wäre da noch die Geschichte von der Elchkuh in unserem Garten, die bellt wie eine hübsche Hundedame und Filou den Kopf verdreht.
Es gäbe so viel zu erzählen, aber das würde den Rahmen hier sprengen. Wir müssen ja auch nicht jetzt schon alles in einen Artikel pressen. Wir werden in Zukunft schließlich ein „wenig“ länger hier oben bleiben.

Am 28. Mai war Sabrinas Urlaub dann leider zu Ende und ich habe sie zum Flugplatz nach Rørvik gebracht. Von dort ist sie mit einer kleinen Turboprop-Maschine nach Trondheim und anschließend nach Düsseldorf gefolgen.
Auch wenn wir solche Trennungen ja nun schon öfter hatten, leicht fällt uns das bis heute nicht. Für Sabrina war es diesmal noch schwerer, weil Filou bei mir geblieben ist.
Für mich begann nun die Zeit der vielen kleinen Reparaturen. Daneben musste ich noch ein irrwitziges Projekt abschließen, welches ich mir im letzten Frühling ausgedacht hatte. Es ist mir nicht gelungen, die Höllenmaschine in Deutschland endgültig fertig zu bekommen. Also habe ich alle Teile mitgebracht und nun kam der Moment, vor dem ich mich so lange gefürchtet hatte.
Die Höllenmaschine, sie ist das erste Ding, vor dem ich anfangs wirklich Bammel hatte. Es handelt sich bei dem Ungetüm um einen alten Rasenmäher, dem ich das Verbrenner Herz herausgerissen und durch einen bürstenlosen Elektromotor ersetzt habe. Er hat 52cm Schnittbreite und doppelt so viel Nennleistung wie der stärkste Akkumäher, den man aktuell von Stihl bekommt.
Die Welle, die das Messer dreht, wird von 2 Lagern geführt, die normalerweise als Radlager in einem Mittelklasse Pkw ihren Dienst tun.
Ich wollte halt etwas robustes bauen, hatte natürlich alles mehr als einmal durchgerechnet und brauchte eigentlich keine Angst vor dem Biest haben.
Trotzdem ging mir der Arsch auf Grundeis, als ich den Stromhebel das erste mal ganz sachte nach vorne gedrückt habe. So ein 52cm langes Messer, welches sich auf Knöchelhöhe vor einem mit gefühlter Lichtgeschwindigkeit dreht, kann schonmal zu Kopfkino führen, welches nicht gesund ist.
Und so habe ich mich mit viel Respekt ganz sachte das Drehzahlband hinauf gehangelt. Am Nachmittag war schließlich alles ums Haus herum gemäht und die Höllenmaschine war mein Freund. Als Akku hatte ich einen provisorischen Pack aus 15 fliegend verdrahteten Lithium Polymer Zellen mit 277Wh im Einsatz. Das hat ganz knapp gereicht, um den Großteil der Fläche ums Haus zu mähen. Mittelfristig wird dieser Testakku durch einen LiFePO4 Akku mit 665Wh ersetzt. Die Einzelzellen dafür habe ich bereits, nur die Zeit zum bauen fehlt mir noch.

Es ging also draußen und drinnen gut vorwärts und so konnte, nein, musste ich mir am 8. Juni eine kleine Auszeit gönnen. Für die Gemeinde Bindal, in der wir wohnen, sollte es das größte Ereignis des Jahrhunderts werden.
Die Menschen waren bereits seit Tagen in Aufruhr. Bühnenstücke wurden geprobt, Parkmöglichkeiten geschaffen und das ein oder andere Gebäude noch kurzfristig auf Hochglanz gebracht.
Alles sollte einen erstklassigen Eindruck machen, wenn der große Tag gekommen war, an dem seine Majestät, König Harald V. der Gemeinde den ersten Besuch in seiner über 30 jährigen Herrschaftszeit abstattet.
Der Bürgermeister hatte alle Leute mit Booten dazu aufgerufen, am Morgen im Fjord zu sein, wenn die königliche Yacht NORGE einläuft.
Alles war also bereit für einen ganz besonderen Tag und jeder, der es sich irgendwie einrichten konnte, war an diesem Tag am Hafen.
Die Gemeinde Bindal hat es geschafft, dem König und der Königin ein wirklich denkwürdiges Fest zu bereiten. Es gab Musik und Tanz, für das leibliche Wohl war ebenfalls gesorgt. Die königliche Yacht lag majestätisch im Fjord und zur Begrüßung wurden drei erstklassig restaurierte Nordlandboote an den Empfangssteg verlegt. Das hat dem König sichtlich geschmeichelt, denn er ist zeitlebens begeisterter und auch erfolgreicher Segler.
Das Volk hat sich von seiner besten Seite gezeigt. Die Nationalhymne wurde inbrünstig mitgesungen und an „Hipp Hipp Hurra“ Rufen hat es ebenfalls nicht gemangelt.
Nach den öffentlichen Festlichkeiten bekam das Königspaar noch eine Führung durchs Museum. Fürs Volk gab es derweil noch einmal Livemusik und im Anschluss wurde der rote Teppich neu verlegt und die königliche Limousine fuhr vor. Sie wurde zwar nur für wenige Hundert Meter bis zum Steg gebraucht, aber der König ist mit seinen 86 Jahren schließlich nicht mehr der Jüngste.
Dann kamen Königin Sonja und König Harald V. aus dem Museum und haben dem Volk noch einmal ihre Aufmerksamkeit geschenkt.
Dadurch, dass Bindal eine wirklich winzige Gemeinde ist, war dieser Besuch etwas ganz besonderes und für mich ein riesiges Glück. Es war so familiär, als wäre man auf einem großen Geburtstag gewesen. Dem König von Norwegen so nah zu kommen, ist selbst für Norweger äußerst selten und hat einen hohen Stellenwert. Die Norweger lieben ihren König und ihre Königin! Manche Menschen hatten an diesem Tag ein Freudentränchen im Auge.
Zum Abschluss der Festlichkeiten marschierte schließlich die königliche Leibwache unter Pauken und Trompeten auf dem Rathausplatz auf. Eine Truppe von 120 Männern und Frauen.

Für mich war dieser Königsbesuch ein gigantisches Ereignis, welches mich schwer beeindruckt hat. Vor allem die Volksnähe und der respektvolle Umgang aller Teilnehmer miteinander, haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Die folgenden Tage waren schließlich vollgepackt mit letzten Projekten am Haus und am 16. Juni habe ich die Insel schließlich schweren Herzens wieder verlassen.

Filou ist immer dabei.

Abfahrt.

Im Kopf mitgenommen habe ich vor allem wieder unglaublich viele positive, zwischenmenschliche Erlebnisse.
Der Rückweg an den Niederrhein war in gerade einmal 2 Tagen geschafft. 850Km an Tag 1 und 1.350km an Tag 2. Diesmal bin ich nicht über die Brücken gefahren, sondern habe mir die Fähre nach Fehmarn gegönnt. Das hat am Ende am besten gepasst und ich habe mir die zweite Übernachtung im Auto gespart.

Zurück am Niederrhein gab es in der folgenden Zeit nur ein Thema bei Sabrina und mir: Was machen wir mit Morgenstern?

Eigentlich war die Entscheidung bereits in Norwegen gefallen, wir brauchten nur eine ganze Weile, um uns wirklich sicher zu sein.
Ich hatte mir vor meiner Abreise alle Häfen in der Umgebung angeschaut und anschließend mit Nachbarn gesprochen, die selber Boote haben. Abschließend kann man Folgendes sagen:

Man braucht in Helgeland schlicht und ergreifend keine 42 Fuß Segelyacht. So ein großes Schiff ist hier oben eher hinderlich. Es gibt auch niemanden, der hier wohnt und ein vergleichbares Schiff hat. Hier hat zwar fast jeder ein Boot, aber es sind alles Boote, die viel kleiner sind, wenig Tiefgang haben und auf einen Trailer mit Straßenzulassung passen. Und entsprechend ist auch die Liegeplatzsituation ausgerichtet.
Man würde zwar einen Liegeplätze für Morgenstern finden, aber er wäre weit weg und der Lift, der sie bei Wartungsarbeiten aus dem Wasser heben könnte, wäre noch weiter weg. Die laufenden Kosten für so ein großes Schiff wären mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland.
Wir könnten diese Kosten zwar etwas drücken, wenn Morgenstern einen Großteil der Zeit an der eigenen Mooring vor unserem Haus hängen würde, aber man wird hin und wieder den festen Liegeplatz und natürlich auch die Werft brauchen.
Dazu kommt, dass wir uns in unserer Freizeit in Norwegen nicht nur aufs Segeln beschränken wollen.
Und wenn gesegelt wird, dann muss das Boot schnell seeklar sein.

Morgenstern ist die Fahrtenyacht, an der man 90% der Zeit schraubt, um dann die eine große Fahrt zu machen.
Für uns war sie daneben auch unsere kleine Insel am Niederrhein, die uns enorm viel Freiheit gegeben hat.
Wir hatten sie jetzt 7 Jahre. Sieben echt gute Jahre, die wir nicht missen möchten. Die Anfangszeit mit den großen Abenteuern im Mittelmeer und schließlich im schwarzen Meer und auf der Donau. Danach die lange Phase der Restauration, die im übrigen bis heute nicht abgeschlossen ist, und schließlich die „Coronazeit“, in der wir durch Morgenstern enorme Freiheiten hatten.

Man, was haben wir dieses Schiff geliebt und tun es heute noch!

Aber es macht eben keinen Sinn, krampfhaft an etwas festzuhalten, bei dem der praktische Nutzen nicht mehr zur neuen Lebenssituation passt.

Um uns selbst die Entscheidung ein klein wenig zu erleichtern, haben wir Morgensterns Nachfolgerin bereits gekauft. Es ist ein radikal anderes Boot. Viel kleiner, mit dem Subaru gut trailerbar und es ist das erste Boot, das wir nicht restaurieren müssen.
Vorstellen werden wir es euch wahrscheinlich erst, wenn Morgenstern verkauft ist. Wir haben im Moment selbst nur sehr wenig Zeit, um uns damit zu beschäftigen. Da liegt noch eine gewisse Durststrecke mit vielen Projekten vor uns, bevor es so langsam ruhiger werden wird.

In wenigen Tagen fahre ich wieder nach Norwegen. Neben vielen Kleinigkeiten müssen alle Wasserleitungen im Haus ausgetauscht und das Bad renoviert werden. Weitere Teile der Fassade will ich vor dem nächsten Winter ebenfalls austauschen. Es wird also nicht langweilig.
Sobald ich dann im Oktober wieder zurück bin, werde ich die letzten angefangenen Projekte an Bord der Morgenstern abschließen. Danach wird sie inseriert.

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